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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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ihr aus nächster Nähe ins Gesicht. Abgesehen von der unnatürlichen Blässe sah sie nicht krank aus, sondern selbst in dieser Lage blasiert und arrogant. In Smutek erwachte der Widerstand des Deutschen gegen jede Art von Gefühlsseligkeit und kämpfte mit der Sehnsucht des Polen nach Höhen, zu denen man aufsteigen, und Tiefen, in die man stürzen konnte. Eine Weile stand er ratlos, hätte sie gern geküsst oder streng zurechtgewiesen, lief endlich weiter, Türen mit dem Fuß aufstoßend, und sprach erst wieder, als er vor der letzten stand.
    »Okay, Ada«, sagte er. »Ich danke dir hiermit im Namen meiner Frau.«
    Sie nickte: Okay. Überall war dicker Wasserdampf, es gab gekachelte Wände, an denen Bäche von Kondensat herunterliefen, ein schwarzes, beschlagenes Fenster, draußen wohl Nacht. Sie befanden sich in einem der Bäder in der obersten Etage, wo das Aufsichtspersonal schlief.
    Smutek setzte sie auf den Klodeckel und zog ihr die Strümpfe aus, sie waren steif gefroren und fielen wie kleine Bretter auf die Fliesen. Er befreite sie von der Unterhose, zerrte an ihrem BH, und Ada schlug schon um sich, bevor er sie erneut auf die Arme hob. Als eine Schulter in Reichweite geriet, biss sie hinein. Smutek gab ein unterdrücktes Stöhnen von sich und senkte Ada trotzdem langsam und vorsichtig in die Wanne. Das heiße Wasser schmerzte wie siedendes Öl, unerträglicher als alles, was bislang passiert war. Ada glaubte, noch immer zu schreien, und war längst still, vom Schmerz überwältigt, gerade dabei, das Bewusstsein zu verlieren, als sie doch noch etwas sagte: Hol meine Laufschuhe, bitte, die sind noch auf der Wiese ... Und endlich war auch sie - fort.
    Der Tag darauf bringt einen Pakt mit Nothing
    A m nächsten Morgen war alles unangenehm. An den Besuch des Notarztes und die gemeinsame Nacht mit Frau Smutek in einem Doppelbett konnte Ada sich nicht erinnern. Als sie erwachte, lag sie allein unter der Decke und fand zwei obszöne, schwabbelnde Gummiwesen neben sich, die sie angewidert von sich stieß: erkaltete Wärmflaschen. Gleich darauf erblickte sie Smuteks Antlitz einen halben Meter über sich und assoziierte das Gesicht einer grinsenden Sonne, die als Spieluhr einst über ihrem Kinderbett gehangen haben musste und vor der sie sich, wie sie jetzt glaubte, immer gefürchtet hatte. In diesem Dahlem wuchs sich das Erinnern zur reinen Plage aus. Es wurde Zeit, von hier wegzukommen.
    Na, wie geht es, alles gut überstanden, okay, ja. Frau Smutek ist auch okay, wunderbar.
    Ada ekelte sich vor seiner Nähe, als hätten sie in der vergangenen Nacht ein inzestuöses Verbrechen begangen. In ein Laken gewickelt, floh sie aus dem Zimmer über den Gang.
    Neben ihrem eigenen Bett lag das Sportzeug auf der Heizung, alles gewaschen, ausgebreitet und schon fast trocken. Ihre Laufschuhe, die ordentlich auf einer Zeitung standen, hätte Ada aus Wiedersehensfreude am liebsten geküsst. Sie sah Smutek vor sich, wie er, ihren Spuren im Schnee folgend, über den Waldweg hetzte und die Lichtung fand, auf der Fußabdrücke und eine zerstörte Eisdecke alles erzählten, was geschehen war. Sie glaubte nicht, dass er einen Schüler losgeschickt hatte. Das also war seine Art, sich bei ihr zu bedanken, und fast tat es ihr leid, bei seinem Anblick an eine grinsende Spieluhr gedacht zu haben.
    Das Zimmer war leer und unnatürlich still, die Wände kahl und zu hart, um von einem menschlichen Körper durchdrungen zu werden, die Tür geschlossen auf eine Art, die durchaus >für immer< bedeuten konnte. Plötzlich sehnte Ada sich nach Alevs Armen. Sie hatte Lust, schon wieder hinauszulaufen und sich die Finger an Pferdenasen zu wärmen, sie trug erst Unterwäsche und kramte nach frischen Jeans, als es vorsichtig klopfte. Es war Höfi. Ada lächelte ihn erleichtert an.
    »Ich habe Anweisung gegeben, ein paar Eier zu braten. Außerdem habe ich nachgedacht über das, was du vorgestern Abend sagtest. Das mit dem schmalen Grat. Zieh dich endlich an.«
    Während des späten Frühstücks im leeren Speisesaal redete er wenig und schaute Ada zu, die fünf Spiegeleier vertilgte, ohne Brot und mit viel Salz.
    »Vergessen wir die Geschichte«, sagte Ada, als sie fertig war. Höfi hielt sie zurück.
    »Zwei Menschen, die, jeder auf seiner Linie, Hand in Hand durchs Leben laufen, bilden zusammen einen Vierbeiner und werden nicht stürzen, selbst wenn sie von dem Abgrund unter ihren Füßen wissen. Das ist meine Antwort auf dein Problem.« Er berührte sie

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