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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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am Ellenbogen und verschwand, ohne den abgegessenen Teller in die Küche zu bringen.
    Den Rest des Tages verbrachte Ada auf dem Zimmer, lag angekleidet im Bett, las, sah aus dem Fenster und genoss die Ruhe, während überall im Haus an der Errichtung einer österreichischen Metropole gearbeitet wurde. Alles Räumen und Rascheln, Huschen und Tuscheln auf den Fluren ging in seltsamer Gedämpftheit vor sich. Das ganze Haus lebte wie auf Zehenspitzen.
    Gegen Abend erschien Alev mit einem Essenstablett vor der Zimmertür und kam auf diese Weise an Smutek und Höfi vorbei, die strenges Besuchsverbot erlassen hatten. Ada empfing ihn mit regloser Miene. Geschickt wie eine Krankenschwester räumte er den Nachttisch leer, drückte das Kissen zu einer Rückenstütze zusammen, fasste ihr unter die Achseln, als wäre sie nicht in der Lage, sich allein aufzurichten, und setzte sich auf die Bettkante.
    »Du hattest nicht recht«, sagte sie, während sie ihre Suppe löffelte.
    »Womit?«
    »Gott und Teufel. Ich gehöre nicht dazu.«
    Er schaute aus dem Fenster, das kurz davorstand, von der Nacht in einen schwarzen Spiegel verwandelt zu werden, schüttelte missbilligend den Kopf über Adas Bemerkung oder über den langsam fallenden Regen und sah schließlich zur Zimmerdecke hinauf, als müsste er überlegen, wovon überhaupt die Rede war.
    »Woher weißt du das so plötzlich?«, fragte er endlich.
    »Ich habe nichts in mir gefunden.«
    »Hat das mit Smuteks Frau zu tun?«
    »Ach. Das war doch gar nichts.«
    Alevs Blick wurde trüb vor Spott: Begeh ruhig Heldentaten, wenn du magst, aber spar dir die Koketterie.
    »So meinte ich es nicht«, sagte Ada schnell, obwohl er keinen Ton von sich gegeben hatte.
    »Wie dann?«
    »Ich bin ihr nachgesprungen, weil es wieder mal an der Zeit war, mir selbst etwas zu beweisen. Darüber hinaus ist da kein Geheimnis. Ich habe es gern getan. Vielleicht hätte Smutek mich hinterher nicht unbedingt ausziehen müssen.«
    »Er hat was getan?«
    »Mich ausgezogen und in die Badewanne gehoben.«
    »Interessant. Sogar hochinteressant.«
    Das Nachdenken über diese Information absorbierte Alev für einige Sekunden, er rieb sich die Augen, als er zum eigentlichen Gespräch zurückkehrte.
    »Du wirst mir nicht ausreden, dass dein Husarenstück letzte Nacht mit meiner Frage zu tun hatte.«
    »Es war also eine Frage?«
    »Natürlich, Kleinchen. Das weißt du doch.« Er schenkte ihr das Lächeln eines großen Bruders und machte sich daran, bröcklige Frikadellen in kleine Stücke zu zerteilen. »Wahrscheinlich bist du inzwischen auch zu dem Schluss gekommen, dass der Irrtum über Gott und den Teufel in der unbedingten Verteilung von Gut und Böse bestehen muss. Sinngemäß heißt es im Mann ohne Eigenschaften an einer Stelle: Der Mensch gibt der Tat den Charakter und nicht umgekehrt, wir trennen Gut und Böse und wissen doch, dass sie ein Ganzes sind. - Wichtig an diesem Satz ist, dass wir es wissen. Es handelt sich um einen absichtlichen Irrtum.«
    »So weit war ich schon, bevor ich dich traf.«
    Alev schickte sich an, ihr ein Stück aufgespießter Frikadelle in den Mund zu schieben. Sie nahm ihm die Gabel weg und aß selbst.
    »Bevor wir weiterreden«, sagte er, »muss ich eine Sache klarstellen: Du bist drei Jahre jünger als ich und trotzdem klüger. Meine Fähigkeiten übertreffen die deinen auf anderem Gebiet. Ich bin nicht zum intellektuellen Armdrücken hier. Pakt?«
    Ada ließ die Gabel fallen und schlug ein: »Pakt.«
    Als sie das Tablett von sich schob, räumte Alev alles vom Bett auf den Boden, öffnete das Fenster und schob erst ihr, dann sich selbst eine Zigarette zwischen die Lippen. Der Deckel einer Wasserflasche diente als Aschenbecher.
    »In Wahrheit interessieren Gott und der Teufel mich herzlich wenig. Als Begriffe sind sie abgenudelt wie Hitparadensongs vom letzten Jahr. Aber ich sage nichts Neues, wenn ich behaupte, dass das Leben der Menschen von gegensätzlich wirkenden Kräften bestimmt wird.«
    »Also doch Gut und Böse?«
    »So der landläufige Irrtum. Vergiss den christlichen Satan. Mein Teufel ist nicht die Anwesenheit von etwas, auch nicht von etwas Schlechtem, sondern dessen vollkommene Abwesenheit. Er ist No-thing, das Nichtvorhandensein einer Vorstellung von Richtig oder Falsch, ein leerer Zwischenraum. Die wahren Gegner heißen Nichts und Etwas.«
    »Das Nichts ist nicht denkbar. Wie kann es ein Gegner sein?«
    »Indem der Mensch es bekämpft. Das Nichts auf Erden und im eigenen

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