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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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Wirbelsäule wie armen Büßern. Der Vater tastete mit den Händen über den Teppich, als suchte er eine Brille, die er nie getragen hatte. Die Vermieterin nahm hundert Euro für die unzerstörte Vase entgegen und wünschte ein besonders frohes neues Jahr. Als sie gegangen war, klopfte der Vater lachend den Staub von der Anzughose, legte Alev eine Hand auf die Schulter und erklärte sich bereit, drei Jahre lang für Schulgeld und Internatskosten aufzukommen. Dankend verließ Alev die Szene, um den Eltern Zeit und Raum für ihre Wiedersehensfeier zu lassen. Er hatte einen weiteren Geschäftstermin zu besorgen. Ein Lehrer war von der Schule geflogen. Nun galt es zu überprüfen, ob der zweite Teil der Prophezeiung planmäßig eingetreten war.
    »Kommen Sie rein. Sie wissen ja, wie viel ich schon von Ihnen gehört habe, nicht?«
    Ein schäkerndes Augenzwinkern, zu stark dosiert, Karikatur einer zweideutigen Geste und doch ernst gemeint. Adas Mutter sah aus, als hätte man sie bei einer anstrengenden Tätigkeit überrascht. Ihr Atem ging schnell, ein paar Strähnen hatten sich aus der Kleopatrafrisur gelöst und standen seitlich ab. Während sie Alev voraus in die Wohnung lief, drehte sie sich mehrmals um, als wollte sie sicherstellen, dass er tatsächlich folgte.
    Alle Türen standen offen. Dort war der Esstisch, von dem Ada manchmal erzählte, während er vorgab, nicht zuzuhören. Dort war die Wendeltreppe, die zu den Szenen aus dem Privatleben hinaufführen musste. Die wenigen Möbel wirkten auf moderne Art verloren, als hätte kein Mensch sie jemals in Gebrauch gehabt. Adas Mutter trieb Alev quer über den spiegelnden Boden und wies ihm eine kleine Rattancouch in der Nähe der Terrassentür. Der nächste Sessel stand gut fünf Schritte entfernt.
    »Sie sind ohne Jacke. Aber Sie haben es auch nicht weit.«
    Es blieb keine Zeit, darüber nachzudenken, ob Ada tatsächlich erzählt hatte, wo er wohnte, denn in den Monologen der Mutter reichten die Themen einander den Stab wie professionelle Staffelläufer.
    »Frauen unter sich!«, rief sie ohne Zusammenhang. »Wussten Sie, dass Sie der erste Mann sind, dessentwegen sie sich die Augenbrauen zupft?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Alev, damit beschäftigt, das Wort >dessentwegen< zu bestaunen. Er war blind davon ausgegangen, Ada habe ihre elaborierte Ausdrucksweise von irgendeinem Vater übernommen. Er saß niedrig, Adas Mutter stand viel zu groß über ihm und lachte exaltiert.
    »Olaf war ein netter Kerl, aber weniger interessant als Sie. Ihr Vater ist Araber? Was macht er so?«
    Sie verschwand im Flur, so dass Alev seine Antwort leise gegen die Wände sprechen konnte.
    »Im Moment vögelt oder prügelt er meine Mutter, wahrscheinlich beides abwechselnd.«
    »Das habe ich mir gedacht.« Als sie wieder auftauchte, hatte sie zwei Cognacgläser und eine Flasche dabei und bat Alev einzuschenken.
    »Auf die Männer!«
    Der Cognac wärmte von innen, noch zwei oder drei Gläser und er würde endlich aufhören zu frieren.
    »Mein Ex-Mann ist beim Verteidigungsministerium. Er hat auf den Umzug nach Berlin gehofft. Pech gehabt. So stecken wir alle fest in diesem Elendsnest, eine große Familie aus Hinterbliebenen, die sich größte Mühe geben, einander nicht zur Kenntnis zu nehmen.«
    Das Kratzen eines Schlüssels in der Wohnungstür entband von jeder weiteren Antwort. Alev erkannte den harten Schritt von Adas Springerstiefeln im Eingang.
    »Hier herein!«, rief die Mutter. »Schau, wer da ist.«
    Mit dicker Jacke, kälteroten Wangen und von Schneeklümp-chen verzierten Hosenbeinen sah Ada aus wie ein Eskimomädchen, das in eine warme Stube geraten ist und von den Rändern her zu schmelzen beginnt. Ein paar einzelne Haare standen vom Kopf, bemüht, der eben abgezogenen Mütze zu folgen. Die Halogenleuchten im Flur legten eine Art Heiligenschein über ihren Scheitel.
    »Wir gehen hoch«, sagte sie und zog die Jacke aus.
    »Ach was«, rief die Mutter. »Ich verschwinde in der Küche, wir schließen die Türen, dann seid ihr ungestört.« Sie schenkte Cognac nach, ohne ihr eigenes Glas angerührt zu haben.
    »Den Schnaps nimmt Alev mit«, sagte Ada streng und winkte ihm, sich zu erheben.
    Die Mutter schoss auf sie zu und packte hart ihren Arm.
    »Alev ist mein Gast. Setz dich hin.«
    Ada überließ der Mutter den Arm, als wäre diese ein Kampfhund, der fester zubeißt, wenn man sich wehrt.
    »Mutter«, sagte sie sanft, »danke für alles. Wir kommen nachher runter, und Alev trinkt noch

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