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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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gelegentlichen Kurierdienste für Rocket am Hauptbahnhof.
    »Nichts von Bedeutung«, sagte Alev. »Wo nichts ist, kann nichts nachgewiesen werden.«
    »Ex falso quodlibet«, sagte Ada.
    »Was heißt das?«
    »Aus Falschem folgt Beliebiges.«
    Sie hörte das Stocken seiner Atmung, als er tonlos lachte.
    »Darum geht es doch gar nicht«, sagte er. »Wir sitzen hier zwischen den Resultaten eines unbeholfenen Exorzismus. Man beginnt uns zu fürchten. Wir reagieren miteinander wie Phosphor und Sauerstoff.«
    Das Bild von Olaf und ihrer eigenen Person, wie sie unauffällig am Bahnhof umherschlenderten und darauf warteten, von einem Amateurdealer angesprochen zu werden, wurde übermalt vom ölfarbengetränkten Pinsel der Vorstellungskraft. Menschen sprangen nach einem Phosphorbombenangriff in die Hamburger Elbe, tauchten brennend wieder auf und rangen nach Luft.
    »Du erinnerst dich an unsere Dahlemer Gespräche?«
    »Was dich betrifft, bin ich Autist.«
    »Damals wehrtest du dich gegen Dinge, die ich dir zu erklären versuchte.«
    »Ich habe eine angeborene Abneigung gegen Esoterik.«
    »Das ehrt dich. Trotzdem wird uns die Verständigung ab heute leichter fallen.«
    Mit geschlossenen Augen war es schwierig, das Gleichgewicht zu halten. Ada stützte die rechte Hand gegen die Wand und hörte, wie Alev sich wieder erhob.
    »Ich sage dir, was wir jetzt machen. Du öffnest die Augen, suchst aus dem Müllberg einen großen Winterpullover für mich heraus und ziehst deine Jacke an. Wir gehen spazieren.«
    Das Deckenlicht blendete, rote und schwarze Punkte schwirrten durch die Luft, ein paarmal musste Ada blinzeln, bis die Gegenstände das Tanzen aufgaben und fest auf ihren Plätzen lagen.
    Die Mutter kam ihnen schon auf der Treppe entgegen. Ada hatte die schwarzverschmierten Tränenaugen so oft gesehen, dass sie inzwischen eine gewöhnliche Erscheinungsform des bekannten Gesichts darstellten. Die schönen, schlanken Hände flatterten wie aufgeregte Vögel um die Autos herum.
    »Schon gut«, sagte Ada. »Du kannst nichts dafür. Teuter hat dich verrückt gemacht.«
    »Woher weißt du das?« Der Tonfall der Mutter schwankte auf der Schwelle zur Hysterie. Für solche Situationen hatte Ada einen Knopf im Kopf, den sie drücken konnte, um sämtliche Gefühlsregungen auf den Nullpunkt herunterzufahren und das System eine Weile auf Notaggregat zu betreiben.
    »Unser Direktor«, sagte Alev, »leidet unter einer paranoiden Störung. Ihre Tochter ist das klügste Mädchen der Schule und erregt bei manchen Lehrern Nervosität. Unterhalten Sie sich bei Gelegenheit mit unserem Klassenvorstand.«
    Die Mutter bekam wieder Luft, Smuteks Erwähnung wirkte besser als Valium. Diesmal war es Ada, die nach Alevs Fingern griff.
    »Das Missverständnis wird sich im Handumdrehen aufklären. Gute Nacht.«
    Mit wenigen Flügelschlägen waren sie die restlichen Stufen hinunter und standen, verwirrt von der frühen Dunkelheit, vor dem Haus. Oben gingen der Reihe nach alle Lichter an, bis die Villa wie ein Palast am Festtag strahlte.
    »Wenn du vorhast, mir deine Dankbarkeit auszudrücken«, sagte Alev, »dann hör mich an.«
    Auf der Villa Kahn. Spieltrieb. Das Universum ist ein Tropfen Feuchtigkeit an der Spitze einer Hundeschnauze
    I nnerhalb von Minuten zogen die Winterwolken ab wie Flaggschiffe einer siegreichen Flotte. Über dem Rhein zeigte ein Mondmädchen sein hübsches Profil und blinzelte drei Halbstarken zu, die in aufgeplusterten Daunenjacken auf der Lehne einer Bank saßen, Kieselsteine nach einer leeren Red-Bull-Dose warfen und Lunas Annäherungsversuche gar nicht bemerkten. Hinter ihnen stampfte ein schwach beleuchtetes Frachtschiff der holländischen Küste entgegen, wobei es den Scheinwerferblick nicht von der Wasserstraße vor seiner Schnauze hob. Hoch oben strahlte das Petersberg-UFO nach allen Seiten in die Nacht und warb für den Ruhm der langen Tische und wichtigen Männer und für das ganze glorreiche Zeitalter der so genannten internationalen Konfliktbewältigung. Weil die Kälte jede Bewegung der beiden Spaziergänger verfolgte, gingen sie zügig flussaufwärts und hatten die eigenen Leiber fest in die Arme geschlossen.
    Seit kurzem umgab ein Bauzaun das Gelände der Villa Kahn. Der neue Hausherr hatte als Schüler selbst in den Gewölben und auf den Zinnen des seltsamen Schlösschens das Kiffen und Küssen erlernt und hielt deshalb bis zum Aufmarsch der ersten Baufahrzeuge ein Loch in der Absperrung offen, durch das die jungen

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