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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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einen mit dir. Einverstanden?«
    Die Lippen der Mutter bewegten sich ohne Geräusch.
    »Vielen Dank für die Gastfreundschaft«, sagte Alev, der neben sie getreten war und Adas Hand fasste, die kalt und abgestorben in der seinen lag. Während er sie durch den Raum Richtung Wendeltreppe führte, stand die Mutter zwischen Couch und Sessel, bewegte noch immer den Mund in stummer Ansprache und sah ihnen mit dem Gesichtsausdruck eines Kindes hinterher, das die bekannten Monster erwartet, sobald die Eltern es am Abend allein lassen. Als sie den oberen Treppenabsatz erreicht hatten, knallte unten eine Tür ins Schloss.
    Adas Zimmertür knirschte. Etwas sperrte unten im Spalt. Alev begann breit zu grinsen, aus seinem Mund schien ein kalter Luftzug zu strömen, der Adas Hals berührte und ihr Schauer über den Rücken trieb.
    »Das gibt es doch nicht.«
    Hintereinander zwängten sie sich durch die Tür und standen schweigend mitten im Zimmer, dicht beieinander, weil kaum Platz war, um die Füße abzusetzen, und sahen sich um. Die bunten Tücher waren heruntergerissen und lagen in Häufchen am Boden. Die Matratze war hochgeklappt, das Bettzeug abgezogen und beiseite geworfen, der Schrank stand offen. Mit einem schnellen Griff waren die unteren Fächer entleert worden, Unterwäsche mischte sich mit größeren Kleidungsstücken, Schnürsenkel und BH-Träger durchzogen und verbanden das Gewühl wie vielfarbige Würmer. Die Schubladen des Schreib-tischs lagen umgekippt am Boden; Notizzettel und Büroklammern hatten es bis unter den Türspalt geschafft. Der angesammelte Kleinstplunder eines fünfzehnjährigen Lebens war durcheinander gemischt worden wie ein Kartenspiel, zusammengeschoben und auseinander gezogen zu einer Materialpfütze, die scharfkantig endete, wo man den Teppich angehoben hatte. Am schlimmsten aber ging es den Büchern. Stoßweise hatte man sie aus dem Regal genommen und hingeworfen, jedes einzelne war links und rechts am Umschlag gefasst und ausgeschüttelt worden, und nun lagen sie alle auf dem Gesicht, die Seiten unter dem Gewicht des Leibes zerknickt, ein Haufen hilfloser Wesen mit gebrochenem Genick. Alevs Grinsen war so breit geworden, dass es fast die Ohren miteinander verband, und Ada konnte nicht anders, sie fing an zu lachen.
    »Und«, fragte er, »wie war ich?«
    Ganz von selbst schlangen ihre Arme sich ineinander, sie standen Hüfte an Hüfte und betrachteten andächtig das Chaos zu ihren Füßen. In Adas Miene war so viel Leben, als bewegte sich ein Fischschwarm dicht unter der Oberfläche.
    »Ich bin beeindruckt. Verrat mir den Trick.«
    »Kennst du Odetta?«
    »Du meinst die schöne Juno? Du hast sie auf der Vollversammlung im September zur Oberstufensprecherin gemacht.«
    Alevs Grinsen wurde zu einem selbstgefälligen Lachen. Ohne irgendjemanden um seine Meinung zu fragen, hatte er Odetta für das Amt der Schülervertreterin vorgeschlagen und in der Aula eine flammende Wahlkampfrede für sie gehalten. Auf diese Weise sicherte er sich Einfluss bei der Selbstverwaltung, ohne an lästigen wöchentlichen Treffen auf den durchgesessenen Sofas im Schülerbüro teilnehmen zu müssen.
    »Mit ein paar Anweisungen hat sie es nicht nur zur Schülersprecherin, sondern sogar zu Teuters Vertrauensperson gebracht. Deine Mutter müsste einen Anruf von der Schulleitung bekommen haben.«
    »Worum ging es?«
    »Drogen. Nicht mehr als ein vager Verdacht, viel zu wenig für ein offizielles Verfahren, aber Teuter lässt keine Möglichkeit ungenutzt. Was dich für ihn bemerkenswert macht, ist deine Intelligenz sowie die guten Beziehungen zu Smutek und Höfi. Verstehst du?«
    »Sicher.«
    Alev fasste seine Hosenbeine knapp oberhalb der Knie und hob sie ein Stück an, bevor er sich setzte und die Beine im Schneidersitz faltete. Eine Welle Körpergeruch rollte, aufgescheucht von der Bewegung, zu Ada hinüber und schlug ihr über dem Kopf zusammen. Sie ließ das Buch sinken, das sie gerade aufgenommen hatte, schloss die Augen und stand in stummer Anbetung vor dem leeren Regal. Der Geruch benetzte Lippen und Gaumen, rann die Kehle hinunter und bediente einen Hunger, mit dem sie so gut zu leben gelernt hatte, dass erst eine kleine Fütterung ihn von neuem erweckte. Auf eine Entfernung von zwei Metern konnte sie spüren, wie Alevs Haut vom Stoff seines Hemdes berührt wurde, so deutlich, als handelte es sich um ihren eigenen Körper.
    »Das könnte ein Nachspiel haben«, sagte sie, ohne die Augen zu öffnen, und dachte an ihre

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