Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall
beiden hart treffen. »Ihr Sohn Roland hat den Raum Cottbus nie verlassen. Er wurde vor 20 Jahren ermordet.«
»Ermordet?«, flüsterte Vincent Keiser und es folgte eine lange Stille. Der Gesichtsausdruck des Vaters veränderte sich über Fassungslosigkeit zu Unverständnis, von langsamem Begreifen zu lodernder Wut. »Er war die ganzen 20 Jahre hier?«, brüllte er überraschend los und Floh begann, im Inneren des Hauses wild zu bellen und zu randalieren. »Er war gar nicht geflohen? Kein unerlaubter Grenzübertritt? Jemand hat ihn einfach verscharrt?«
Seine Frau starrte mit weit aufgerissenen, leeren Augen in die Weite und schwieg. Schockstarre, diagnostizierte Nachtigall und überlegte, ob er einen Arzt verständigen sollte.
»Wir glauben nicht, dass man ihn vergraben hatte.«
»Nicht.«
»Nein.«
»Wie ist Roland gestorben?«, fragte der Vater gefährlich ruhig.
»Der Rechtsmediziner hat Hinweise darauf gefunden, dass Ihr Sohn erstochen wurde.«
Der gewaltige Schlag in Renates Gesicht kam so unerwartet, dass keiner der beiden Beamten ihn verhindern konnte.
Ihr Kopf schleuderte durch die Wucht weit zur Seite, für wenige Bruchteile einer Sekunde wirkte die getroffene Gesichtshälfte völlig deformiert. Dann spritzte helles Blut aus der Nase und einem Mundwinkel, hinterließ hässliche Flecken auf der hellblauen Tunika.
Zeitgleich stürzte Nachtigalls Gartenklappstuhl scheppernd um, er packte die Arme des tobenden Mannes und hielt sie entschlossen umklammert, während dieser nun versuchte, seine Frau mit Tritten zu traktieren.
Skorubski zerrte die Verletzte, die nicht einmal aufgeschrien hatte, aus der Gefahrenzone.
»Hexe!«, geiferte Vincent Keiser. »Du vermaledeite Hexe! Auf den Scheiterhaufen gehörst du! Jeder deiner Schreie wäre Balsam für mich. Du hast mich 20 Jahre lang von meinem einzigen Kind, meinem Sohn, getrennt. Hast dafür gesorgt, dass ich ihn hasste. Überall hast du ihn schlecht gemacht.« Speichel sprühte in großen Tropfen aus seinem verzerrten Mund. »Ich wusste es! Immer wieder habe ich es gesagt: Es ist nicht wahr, mein Roland kann nicht getürmt sein! Das macht er nicht! Bestimmt ist ihm etwas zugestoßen! Ich wollte trauern – aber das hast du ja nicht zugelassen.«
Drinnen unternahm Floh einen erneuten Ausbruchsversuch unter wütendem Knurren.
»Herr Keiser! Nun beruhigen Sie sich! Sonst muss ich dafür sorgen, dass eine Streife Sie abholen kommt.«
Uneinsichtig wand sich der zornbebende Vater weiter in Nachtigalls eisernem Griff, gab seine Versuche, die verletzte Frau doch noch mit den Füßen zu erreichen, keine Sekunde lang auf.
»Wissen Sie, dass sie das Kind abtreiben wollte? Nur weil ich mit Scheidung drohte, hat sie Roland überhaupt zur Welt gebracht. Und später, da war sie krankhaft eifersüchtig auf den Jungen. Wenn ich mit Roland in den Tierpark ging, hat sie dafür gesorgt, dass der Kleine deswegen ein schlechtes Gewissen hatte. Fußball haben wir kaum zusammen gespielt – alles, was ich mit dem Jungen gemeinsam unternahm, war ihr«, er spuckte in die Richtung seiner Frau, »ein Dorn im Auge. Und als er plötzlich verschwunden war, hat sie mir meinen Sohn aus dem Herzen gerissen!«, zeterte er pathetisch weiter.
Frau Keiser presste ein Taschentuch abwechselnd an Nase und Mundwinkel, stand wortlos auf und watschelte mit erhobenem Kopf ins Haus.
Nachtigall wollte gerade den verzweifelten Vater in einen der Stühle drücken, als der Tumult losbrach.
Floh stürzte in den Garten, riss den Campingtisch um, stellte erst Skorubski, verbellte Nachtigall, rannte kopflos hin und her, zu allem bereit. Blitzschnell riss der Ermittler seine Hände von den Schultern des Hausherrn, um den angriffslustigen Hund nicht zu provozieren, Vincent Keiser kreischte wild Kommandos durch die Luft, die Floh entweder nicht hörte oder ihn nicht interessierten, Skorubski gab einen Warnschuss ab, Frau Keiser preschte heran, um ihren Liebling vor dem sicheren Tod zu retten – ein einziges unübersichtliches Durcheinander!
Mit vereinten Kräften gelang es, den verwirrten Hund wieder ins Haus zu verbannen, die Scherben notdürftig aufzusammeln und die Stühle hinzustellen. Nachtigalls mächtiges Organ donnerte weit über die Anlage und sorgte endlich dafür, die zankenden Eheleute wieder an den Tisch zu bringen. Von sich gegenüberliegenden Flanken aus beäugten sie einander hasserfüllt.
»Wann genau haben Sie bemerkt, dass Roland verschwunden war?«
»Lesen Sie das in den
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