Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall
dramatische Weise widerspiegelte. Nachtigall bewahrte lächelnde Standhaftigkeit.
Gefühlte Ewigkeiten später entschloss sich Schneider doch zur Kooperation.
Widerstrebend führte er die ungeladenen Besucher in sein Arbeitszimmer. »Tut mir leid, ich habe kein Wohnzimmer. So etwas brauche ich nicht.«
»Sie leben allein?«
»Ja. Als ich damals die Wohnung übernommen habe, richtete ich mir in Rolands Zimmer einen Arbeitsbereich ein. Es sollte ein Provisorium sein, aber wie Sie sehen …«, seufzte er tief, »bin ich immer noch hier.«
»Vom eigenen Schreibtisch aus arbeiten zu können, ist nicht das Schlechteste«, meinte Wiener und sah sich neugierig um.
»Ich betreue die Hotline eines Computerherstellers. Wenn ich dazu nicht das Haus verlassen muss, kommt mir das sehr entgegen.«
»Die Welt draußen ist für Sie nicht so interessant?«, hakte Nachtigall überrascht nach.
Es wurde so still, dass man einen Ohrenkneifer unter dem Teppich hätte trippeln hören können. Wäre nicht eine erstaunliche Veränderung in Schneiders Gesicht vor sich gegangen, hätte der Ermittler angenommen, Schneider habe seine Frage als rhetorisch eingestuft und sie bliebe unbeantwortet. Doch der Computerfachmann zog die Unterlippe ein, kaute mit den oberen Schneidezähnen darauf herum, kleine Schweißperlen standen über seinen Augenbrauen und die Lider begannen zu flattern.
»Draußen?«, fragte er dann heiser und ergänzte nach einem Seitenblick auf Nachtigall: »Interessant? Nun, vielleicht. Ich gehe selten weg, das war noch nie anders. Heute ist es einfacher als früher. Die meisten Dinge, die man braucht, kann man übers Internet bestellen. Selbst Bankgeschäfte sind so ganz einfach zu erledigen. Nur Arzttermine sind ein Problem.«
Dabei behielt er den Hauptkommissar im Auge. Doch der ließ sich nicht anmerken, ob ihm diese Scheu vor der Welt seltsam vorkam oder nicht.
»Roland Keiser hat das sicher anders gesehen. Wir haben gehört, er sei sehr lebenslustig gewesen. Gab es zwischen Ihnen beiden Differenzen deswegen?«, wollte Wiener wissen.
»Nein, Ärger direkt gab es nicht. Unsere ›Wohngemeinschaft‹ war ein Zweckbündnis, keine Liebesbeziehung. Jeder konnte letztlich machen, was er wollte.«
»Wie kam es eigentlich zu dieser Wohngemeinschaft? War doch ein für damalige Verhältnisse ungewöhnliches Arrangement.«
Bernhard Schneider hatte in der Zwischenzeit zwei Stühle von Papierstapeln und Bücherbergen befreit, sodass er den beiden Kripobeamten nun Sitzgelegenheiten anbieten konnte. Er selbst schob seine Körperfülle hinter den Schreibtisch und fiel leise ächzend in seinen Chefsessel. »Nun ja. Ungewöhnlich war es sicher. Roland war ein schwieriger junger Mann – jedenfalls nach der Auffassung der Menschen, die erzieherisch auf ihn einwirken wollten. Er hatte großes Glück, dass sein Vater so eine angesehene Position innehatte. Andere Jugendliche sind für ähnliches Verhalten auf dem Jugendwerkhof gelandet.«
»Aber Roland nicht. Er musste nicht in solch eine Erziehungseinrichtung. Er bekam eine Wohnung und Sie als ›Wachhund‹, nicht wahr?«
»Ja«, stieß Schneider trotzig hervor. »Wenn Sie das unbedingt so ausdrücken wollen! Natürlich war man an entsprechender Stelle der Meinung, das Talent solle jemanden zur Seite haben, der ein Auge auf seine Aktivitäten haben konnte.«
»Es existieren Berichte?«, fragte Nachtigall schärfer als beabsichtigt.
»Sicher!«
Michael Wiener spürte eine Spannung zwischen den beiden, die er sich nicht erklären konnte. Nervös blätterte er in seinem Notizbuch und wartete schweigend ab. Schließlich fehlte ihm in diesem Bereich jede persönliche Erfahrung. Dem jungen Kommissar wurde klar, wie wenig er über dieses Thema wusste. Hatte er gedacht, es ginge ihn nichts mehr an, er habe damit nichts zu tun? Nun, ich steckte mittendrin und es ist sicher keine schlechte Idee diese Wissenslücke endlich zu schließen, entschied er.
»Was erwarten Sie denn? Natürlich gibt es die. Und es stehen nur lauter Allgemeinplätze drin – über Roland gab es nicht viel zu berichten! Seien Sie bloß nicht so verdammt selbstgerecht.«
»An jenem Tag, als Roland Keiser verschwand, muss es ein untypisches Ereignis gegeben haben«, behauptete der Hauptkommissar gänzlich unbeeindruckt von Schneiders Ausbruch.
»Hören Sie, dazu bin ich an die 100 Mal befragt worden! Da war nichts! Alltag – wenn man davon absieht, dass wegen der Gehhilfen Rolands Aktionsradius deutlich
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