Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall
gekommen, seiner Angetrauten in Brasilien zu erzählen, ihr Mann habe sich hier mit anderen Frauen amüsiert.«
»Zugegeben, klingt nicht wahrscheinlich. Allerdings wissen wir nicht, was er in dieser Gasse neben der Hotelküche wollte. Wir haben keine Vorstellung davon, was dort geschehen ist. Trifft man sich heutzutage mit attraktiven Damen in schmuddeligen Gassen?«
»Wäre doch denkbar, dass seine Verabredung in der Gasse wohnt. Wir könnten nachfragen.«
»Bei allen? Und wie merken wir, dass wir belogen werden, wenn wir nicht einmal wissen, was er dort vorhatte?«
»Wir lassen es nach Routine aussehen und werten dann aus. Vielleicht ergeben sich Widersprüche.«
»Konnten Sie Angehörige finden?«, wechselte Mangold zu einem anderen Ansatz.
»Ja. Eine Schwester wohnt in Cottbus. Ist dort verheiratet. Aber seine Mutter lebt hier. Oh! Das ist eine echte Überraschung! Sollte es sich bei der schönen Frau am Ende um seine Mutter gehandelt haben?«
Manuela beobachtete ihre Mutter beim Schälen der Kartoffeln.
Die Bewegungen waren hart und unrhythmisch. Wenn sie sich nicht bald beruhigte, würde sie sich sicher schneiden.
Manuela wusste, dass es ihre Schuld war.
Seit ihrem Geständnis hüllte die Mutter sich in Schweigen, schälte nur brutal die unschuldigen Erdäpfel. Was sollte sie nun tun?
Zurücknehmen konnte sie die Beichte nicht mehr. Manuela zuckte zusammen. Im Moment gab es in ihrem Leben so einiges, was sie gern ungeschehen gemacht hätte.
Die Tür öffnete sich und Mark stapfte in die enge Küche.
Dankbar sah die Schwester zu, wie der große Junge sich schwerfällig an die Mutter presste und dabei versuchte, über ihre Schulter hinweg zu erkennen, was es heute zu essen geben würde.
Mark hatte immer Hunger.
Seine unrunden, abgehackten Bewegungen, der unsichere Gang waren Ausdruck einer angeborenen Behinderung. Innerhalb der Familie war das Thema mit einem Tabu belegt. Manuela konnte sich noch gut an die ersten Monate nach seiner Geburt erinnern, als ihre Mutter immer in Tränen ausbrach, wenn sie das Baby auf den Arm nahm. Es war die Schwester gewesen, die sich um ihn gekümmert hatte, mit ihm spielte und lachte, mit ihm geduldig all das übte, was andere in seinem Alter längst beherrschten. Und ihre Beharrlichkeit wurde belohnt. Mark lernte sogar laufen. Es sah plumper aus als bei anderen, er zog ein Bein nach, klagte über Schmerzen, wenn er längere Zeit mithalten musste. Aber es ging. Sein kindliches Wesen, meinte der Kinderarzt, habe nichts mit der Behinderung zu tun. Es sei Ausdruck seines Charakters und würde mit der Zeit reifen. Doch mit den Jahren wurde aus dem Kind nur ein Lausbub.
›Erziehungsfehler‹, lautete die Diagnose des Hausarztes. ›Der Junge ist verwöhnt.‹
»Lass das!«, fauchte die Mutter ihren Sohn an und Mark zog den Kopf ein.
»Ich war’s nicht!«, rief er lachend und sah wenig später ratlos von einem zum andern, weil diese Formel, die sonst immer die Wogen glättete, heute nicht zu wirken schien.
Manuela schob dem Bruder einladend einen Küchenstuhl zu und er setzte sich zaudernd.
»Ist schon gut. Ich bin schuld!«, erklärte sie und wuschelte tröstend durch sein dichtes Haar.
»Warum?«
»Ich habe einen Fehler gemacht. Und nun ist Mama böse auf mich.« Ihre innere Stimme redete derweil hartnäckig von einer ganzen Reihe von Fehlern, angefangen mit Andy bis zum zu späten Beichten.
Mark schüttelte sich wie ein Hund, der nach dem Bad aus dem See kommt.
Schlechte Stimmung in der Familie war ihm verhasst.
Und das war erst der Anfang, hätte Manuela ihm verraten können, noch wusste der Vater nichts davon.
Mit unnötig heftigen Bewegungen knetete die Mutter derweil ein Ei ins Hackfleisch.
Schweigend beobachteten die Geschwister, wie der gesamte Körper mitarbeitete.
Mark ahnte, dass Manuela etwas ziemlich Schlimmes angestellt haben musste.
»Wird wieder!«, flüsterte er ihr aufmunternd ins Ohr.
»Diesmal nicht«, schniefte die Schwester und Mark legte tröstend den Arm um ihre Schultern.
Laut klatschten die Hände der Mutter auf die Fleischmasse, die sie zu großen Buletten formte. Es zischte wütend, als sie die erste Fleischportion in die Pfanne legte.
Manuela hielt dieses feindselige Schweigen nicht mehr aus.
»Kommst du mit?«
Mark nickte dankbar.
Als sie gemütlich auf Manuelas Bett saßen und Musik hörten, war die Welt fast wieder in Ordnung.
Hajo Mangold drückte den Klingelknopf.
Seine Augen wanderten an der
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