Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall
Aufnahmen auseinander, nahm einzelne hoch, um sie genauer zu betrachten. Dann sortierte er die Bilder nach den abgebildeten Personen. »Sag mal – ist das nicht Albrecht? Siehst du? Im Hintergrund.«
»Ja. Schau mal, er trug schon damals eine Mütze, um den Haarschwund zu kaschieren.«
»Dann kennt er Roland Keiser. Also konnte er dir schon eine Menge Informationen über das Opfer geben.«
»Nein. Er hat mit keinem Wort erwähnt, dass sie sich kannten.«
»Obwohl er gestern den ganzen Tag mit dir unterwegs war? Das ist ja eigenartig.«
»Er ist krank, Michael. Offensichtlich eine Art Krebs, er hatte nicht viel Zeit für Erklärungen. Gestern stand noch eine Untersuchung an. Vielleicht war er mit seinen Gedanken nicht ganz bei der Sache.« Aber im Grunde glaubte Peter Nachtigall das nicht.
Und genau das machte ihm Sorgen.
»Was ist eigentlich mit diesem Friedrich Konstantin Plau? Haben wir schon eine Adresse?«
»Ja, scho. Aber der isch zurzeit in Marokko. Eine Selbstfindungstour. Midlife Crisis, meinte sei’ Schwester. Man kann ihn nicht erreiche’. Kein Handy, nichts. Der fällt als Zeuge aus.«
Hart schlugen Fingerknöchel gegen die Bürotür.
»Bitte!«
»Tschuldigung. Aber vorhin hat jemand aus Dresden angerufen. Sie haben dort ein Mordopfer, dessen Schwester in Cottbus wohnt. Der ermittelnde Hauptkommissar fragt nach, ob Sie nicht vielleicht mit der Schwester …« Die Stimme des Beamten vertrocknete, als er bemerkte, wie Nachtigalls Gesicht rot anlief.
»Da scheint der Kollege zu glauben, die Mordkommission in Cottbus leidet unter Schüben von Langeweile! Das ist doch nicht zu fassen!«
»Nun, Herr Mangold meinte, er kenne Sie. Vielleicht ging er deshalb davon aus, dass es kein Problem sei«, schob der Kollege den Namen des Dresdner Ermittlers nach, in der Hoffnung, es könne die Lage beruhigen.
»Herr Mangold?«, fragte Nachtigall ungläubig. »Dann kam der Anruf aber aus Leipzig!«
»Nein, nein. Aus Dresden. Sie haben dort die Leiche eines …«, er kramte einen Zettel hervor, »Johannes Schaber geborgen. Aus der Elbe. Sie würden gern wissen, ob er in letzter Zeit mit der Schwester Kontakt aufgenommen hat, ob sie etwas über seine Pläne wusste.«
»Und warum zum Kuckuck rufen sie nicht einfach bei ihr an?«, fluchte Nachtigall, der zugeben musste, dass er Mangold verstehen konnte. Es war immer besser, eine Person zu schicken, der man vertrauen konnte. Wieso rief Hajo ihn aus Dresden an? Das ergab doch alles keinen Sinn!
»Wie heißt die Schwester denn?«, erkundigte er sich freundlicher.
»Veronica Bauer. Die Adresse habe ich hier notiert.« Der Kollege reichte dem Hauptkommissar ein neongrünes Papier.
Wiener fragte: »Johannes Schaber? So hieß das Opfer?«
Der Beamte nickte zur Bekräftigung mit dem gesamten Oberkörper.
Nachtigall fiel bei dieser Bewegung unwillkürlich Philomena ein und er schmunzelte hinter vorgehaltener Hand. »Wir kümmern uns drum.«
Erleichtert flüchtete der Beamte über den Gang davon.
»Weißt du, wer das ist? Johannes Schaber?« Michael Wiener wirkte mit einem Mal sehr aufgeregt.
Peter Nachtigall sah ihn verwundert an und schüttelte den Kopf.
»Nein, müsste ich?«
»Johannes Schaber leitet die Delegation des brasilianischen Frauenfußballteams!«
13
Bernhard Schneider empfand seine Situation als unkomfortabel.
Gerade im Augenblick kam ihm die ungeteilte Aufmerksamkeit der Staatsmacht sehr ungelegen. Hoffentlich hörte das bald wieder auf.
»Roland, Roland! Du hättest doch wirklich nicht gerade jetzt auftauchen müssen. Das ist nicht nett!«
Roland – ein Mordopfer.
Bernhard Schneider konnte es kaum glauben.
All die Jahre hatte er an Rolands Zukunft im Westen geglaubt – und nun stellte sich raus, dass er tot war. Die beiden Beamten schienen sich jedenfalls sehr sicher zu sein – kein Spielraum in diesem Punkt. Bedächtig wiegte er den zu mächtigen Kopf hin und her, als kämen die Gedanken besser in Fluss, wenn das Hirn von links nach rechts und zurück schwappte.
Alle waren sich am Ende sicher gewesen: Roland hat in den Westen gemacht. Dass man danach von ihm nichts mehr hörte, war nicht so ungewöhnlich. Klar hatte es immer einige Wichtigtuer gegeben, die sich mit Briefen an die verlassene Verwandtschaft hervortaten, mit ihren unglaublichen Erfolgen prahlten – aber oft genug herrschte Schweigen. Manch einem mochte es nicht wohl in seinem Pelz sein, dort, im westlichen Speck, wenn er daran dachte, wie sehr er seiner Familie
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