Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall
womöglich durch diesen egoistischen Schritt geschadet haben mochte. Andere fürchteten auch, den Neid und die Missgunst von Eltern und Freunden auf sich gezogen zu haben, sorgten sich, die Zurückgelassenen oder Verratenen könnten sich fortan mit überzogenen Wünschen und Forderungen an die frisch gebackene Westverwandtschaft wenden. Nein, da war es besser, das neue Leben zu genießen.
Schneider setzte sich an den Küchentisch und zündete sich eine der guten Zigarren für besondere Gelegenheiten an.
Roland, dieser eingebildete Möchtegernstar!
Roland, wie er ihm hier gegenübersaß, süffisant grinsend und selbstherrlich anmaßend seine Forderungen formulierend. Tja, Bernhard, hatte er gesagt, wenn du nicht willst, dass ich dem Ministerium stecke, dass du … Roland!
Dicker Qualm füllte inzwischen den winzigen Raum und Schneider sah sich gezwungen, das Fenster zu öffnen. Gierig ließ er die frische, warme Luft in seine Lungen strömen, atmete aus, blieb am Fenster stehen und blies den Rauch in Kringeln hinaus in den Spätsommer.
Was soll’s!
Roland ist tot!
Sollte er darüber etwa traurig sein?
Mark lag auf seinem Bett und starrte die gegenüberliegende Wand an. Die Musik aus dem Rekorder war nicht laut genug, um die Stimmen aus der Küche zu übertönen.
Sie stritten sich.
Der Junge rollte sich wimmernd hin und her, presste die Hände fest auf die Ohren. Es half nicht. Er hörte dennoch jedes Wort. Manchmal lag er minutenlang still und lauschte.
Schon um sicherzugehen, dass der Zwist nicht doch auch mit ihm zu tun hatte.
Und das, obwohl er längst wusste, dass es um Andy ging. Mark kannte ihn flüchtig. Er war ein Freund seiner Schwester, lustiger Typ, der immer gute Laune hatte. Er bedauerte den Ärger um den jungen Mann. Die paar Male, an denen er ihm begegnet war, hatte Andy sich ganz normal mit ihm unterhalten, kein albernes Getue um seine Behinderung gemacht und ihn nicht als lästiges Anhängsel seiner großen Schwester gesehen. Sicher, er war erst zwölf, aber das hieß ja nicht, dass man ihn wie ein kleines Kind behandeln musste! Sie waren zu dritt Eis essen gegangen. Mama hatte an jenem Nachmittag eine Freundin besucht und Manuela nahm ihren Bruder kurzerhand mit.
Mark lächelte beseelt, als er sich an den großen Eisbecher erinnerte, den Andy ihm spendiert hatte.
Aus der Küche hörte er Mama kreischen, Andy sei ein Schuft! Manuela weinte.
Sofort spürte er, wie auch seine Augen brannten. Das war schon immer so gewesen – eine Art innerer Beziehung zu seiner Schwester. Papas Worte waren nicht zu verstehen, aber Mark erkannte am Tonfall, dass er sehr verärgert sein musste. Wenn sich der erste Zorn gelegt hatte, würde er Manuela fragen, was denn eigentlich passiert war, warum Andy ein Schuft sein sollte. Vielleicht konnte er ihr ja helfen. Das wäre nicht das erste Mal, dass ihm eine Lösung für ein Problem einfiel, auf die sie nie gekommen wäre.
14
»Veronica Bauer wohnt im Birkenweg. Ruhige Gegend, kleine Häuschen. Direkt am Wald, nahe beim Tierpark. Schöne Ecke. Mangold hat uns übermitteln lassen, der Bruder sei heute Morgen aus der Elbe gezogen worden. Erstochen. Offensichtlich ist er seit etwa 20 Jahren nicht mehr in Deutschland gewesen.« Nachtigall sah von den Unterlagen auf. »Und beim ersten Besuch wird er gleich ermordet. Meinst du, der Täter hat all die Jahre auf diesen Moment gewartet – oder ist es Zufall, er lief einfach beim nächtlichen Bummeln durch Dresden einem gewaltbereiten Messerstecher über den Weg?«
»Schwer zu sage’. Ein Mörder, der so lang warte’ kann? Was wär’ das für eine Persönlichkeit? Einer, der wo sei’ ganze Hass so konserviert hat, dass er ihn im richtige’ Moment abrufe’ konnt’. Des klingt für mich ziemlich gefährlich.«
»Eiskalt. Er liest in der Zeitung von dem bevorstehenden Besuch – das stand doch in der Zeitung, oder?« Wiener nickte. »Und macht sich unverzüglich mit einem Messer auf den Weg. Wenn sich das wirklich so abgespielt hat, muss Schaber in den Augen des Täters etwas Entsetzliches verbrochen haben – sonst hält der Hass nicht so lange.«
»Der Mörder hätt’ ja au’ längst nach Brasilie’ reise’ könne’, um den Mord zu begehe’. Ich glaub’ nicht, dass er hier g’wartet hätt wie eine Katze vorm Mauseloch. Hass schreit doch nach schnellen Konsequenze’!«
»In der Regel schon. Aber es gibt auch eine andere Variante. Hass lässt sich einfrieren. Du trägst ihn wie einen
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