Spielzeugsoldaten
dafür sorgen, dass ein Mensch, der dieses Schicksal nicht frei gewählt und verdient hatte, diesen Krieg überlebte. Die Schlacht selbst würde noch die Hölle für Juli werden, das Grauen würde noch früh genug kommen. Es war nicht nötig sie jetzt schon mit ihrer Angst zu konfrontieren.
Je länger sie Juli ansah, desto weniger konnte sie sich dem Gedanken erwehren, dass Juli ungewöhnlich attraktiv war. Raku kam aus einer Stadt im Zentrum von Patrona, von dort wo die Luft schlecht war und bleiern die Straßenschluchten zwischen den Hochhäusern füllte. Die Menschen waren oft melancholisch und in ihrem Aussehen größer, dunkler und blasser als die Menschen an der Küste von Patrona. Man sah Juli an, woher sie kam. Man spürte in ihrer Gegenwart das Meer, die Sonne und den Sand. Sogar im Halbdunkel des Lastwagens leuchteten ihre strubbeligen, blonden Haare. Sie war anders als alle Frauen, die Raku vorher gesehen hatte. Vielleicht e in Grund mehr sie zu schützen.
„Das war nicht nötig“ , flüsterte Juli gerade so laut, dass Raku es hören konnte.
Der Satz riss sie aus ihren Gedanken.
„Ich entscheide hier , was nötig ist“ , antwortete sie ebenso laut und bemerkte sogleich, dass sie erstaunlich unfreundlich war.
Sie redete nie besonders viel, ihre Befehle waren klar und eindeutig und es gab wenig zu diskutieren mit ihren Soldaten. Im Grunde kannte sie es gar nicht, dass sie jemand angriff oder gar ihre Taten und Befehle in Frage stellte. Doch sie war nie unfreundlich oder gar feindselig, wenn sie sprach, höchstens unbeirrbar. Warum jetzt?
„Schüchterst du all deine Soldaten so ein?“
Juli konnte nicht umhin Raku herauszufordern. Sie wollte mehr wissen über diese Frau, die sich selbst so widersprach in allem was sie tat. Es wunderte sie, dass keiner bemerkte wie sehr Rakus Augen immer etwas ander e s sagten als ihr Mund. Natürlich wusste Juli, dass Raku richtig gehandelt hatte. W enn sie keine Kontrolle über ihre Männer hatte, wer dann? Andererseits war ihre Art so kaltherzig, dass selbst der standhafteste Soldat doch auch irgendwann einen Offizier ihrer Klasse anzweifeln musste.
„ Meine Männer überleben, weil ich sie führe“ , brummte Raku und bereute bereits sich auf dieses Gespräch eingelassen zu haben.
Wenige Minuten später hatten sich alle wieder beruhigt, so weit das möglich war.
Juli hörte den leisen Gesprächen der Soldaten zu. Sie verstand nicht sehr viel, es ging um Waffen. Leichtgeschütze. Sturmgewehre. N ichts mit dem sie sich je beschäftigt hatte. Während des Sicherheitstrainings konnten sie und die anderen Journalisten einige Vorträge hören: Waffengeschichte, Taktik, Diplomatie. Nichts von dem erschien Juli wichtig für das, was da auf sie zukam und je länger sie in diesem dunklen Lastwagen saßen, je heftiger der Regen auf die Plane über ihnen prasselte, desto sicherer wurde sie, dass sie dem nicht gewachsen war. Sicher, das waren Überlegungen, die sie vorher hätte anstellen können, aber alle s war so unwirklich gewesen. W ar das nicht Rechtfertigung genug? Was sollte sie da ihre Phantasie bemühen oder sich Informationen beschaffen bei denen sie nicht mal sicher sein konnte, dass sie fähig war W ichtiges von U nwichtigem zu unterscheiden.
Sie klammerte sich etwas fester an den Rucksack auf ihrem Schoß. Darin war auch die technische Ausrüstung, die sie brauchte, um ihre Berichte per Satellit an die Redaktion zu senden. Mit ihrem Chefredakteur war vereinbart, dass sie bereits nach ihrer Ankunft in Lyddit ihre ersten Eindrücke an die Redaktion schickte. Doch schon jetzt fragte sie sich, was sie da eigentlich berichten sollte. Über die dunklen und verhärmtem Gesichter der Soldaten, die sie begleiten? Das schlechte Wetter und das unmöglich schwere Gepäck? Über ihre Bewaffnung? Über Major Avis, die mehr oder weniger das Gelingen ihres Einsatzes aufs Spiel setzte, damit dieser Ausflug für Juli nicht zur Katastrophe wurde? Sie wusste es nicht.
Die Luft unter der Plane wurde zunehmend stickiger, draußen regnete es seit Stunden unaufhörlich und mit jedem Kilometer schien es schlimmer zu werden. Es war wärmer geworden, doch die hohe Luftfeuchtigkeit machte jede s weitere Grad unerträglich. Die Uniformen hafteten klamm an den Körper n der Soldaten. Juli bemerkte, dass das Klima zunehmend ihre Kondition angriff und sie bereute bereits nicht mehr für sie getan zu haben. Sie schienen den waldreichen Teil des Landes erreicht zu haben, denn
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