Spielzeugsoldaten
Überblick über alles hatte. Mirza hatte ihre Position ausgemacht und ihr gemeldet, dass sie sich etwa fünf Kilometer im Süden von Lyddit befanden. Sie hatten einiges an Ausrüstung auf dem Lastwagen zurückgelassen, jedoch würde das, was sie hatten, ausreichen bis sie in der Stadt waren. In einer Stadt von der sie nicht wussten, in welchem Zustand sie sich befand. Raku ahnte nichts G utes, wenn sie daran zurückdachte was sie so eben gehört hatte. Der diensthabende Offizier war nicht sehr freigiebig mit Informationen gewes en und das allein war schon ein Zeichen zu viel. Ein Zeichen für eine miserable Situation.
Sie blickte rüber zu Juli. Kein Stück hatte sie sich bewegt seit sie angekommen waren.
‚Wo ist das Tier in mir?’ dachte Raku, und fragte sich nicht das erste Mal was mit ihr geschah.
Es musste jetzt fünf oder sechs Jahre her sein, Raku wusste es nicht mehr sicher. Genauso wenig, wie sie sicher wusste wie lange sie dort oben verbracht hatte. Man hatte ihr gesagt es seien nur wenige Tage gewesen, doch Raku glaubte noch heute es sei eine kleine Ewigkeit gewesen. Eine Ewigkeit, die sie verändert hatte. Auch wenn sie das nicht gern zugab. Dort oben. Ein bisschen Wehmut war dabei, wenn sie an die schneebedeckten Gipfel dachte , an die großen Hallen, die kl einen Schreine des Klosters. Dort oben, wo man ihr das Leben gerettet hatte.
Raku bemerkte, wie sehr sie sich in ihren Erinnerungen verlor. Es war lang her, dass sie es zugelassen hatte und sie konnte nur vermuten, warum es gerade jetzt wieder zu Tage brach. Sie musste es vergessen, sie musste sich konzentrieren. Warum gerade jetzt? Immer war sie fähig gewesen ihre Emotionen zu unterdrücken, wenn es um Mitglieder ihrer Einheit ging. Wie viele hatte sie sterben sehen? Wie viele Verwundete und Verängstigte hatte sie durch Kampfgebiete geschleppt? Aber nichts davon hatte sie so berühren können wie es Julis Anblick tat. Sie ist doch selbst Schuld, rief Raku sich ins Gedächtnis. Doch der Gedanke half n icht. E r war nichtig. Und wenn schon? Sieh sie dir an! Sieh sie d ir an! Der Krieg ändert alles, einfach alles. Sie bückte sich und griff zwei volle Magazine aus einem Gürtel.
Juli sah Raku kommen. Sie versuchte sich etwas aufzurichten, doch es überraschte sie nicht, dass ihre Knochen steif waren von der verkrampften Haltung in der sie am Boden gekauert hatte. Ihr e Uniform war noch immer klamm vom Regen und vom Schweiß. Raku kniete sich zu ihr und nahm die Maschinenpistole, die neben Juli lag.
„Ich stelle sie dir auf Einzelfeuer. Sie hat zwar keinen starken Rückstoß, aber du hast sie noch nie benutzt“ , sie hielt die Magazine hoch und deutete an, wie Juli sie zu wechseln hatte, „die gehören da rein, steck sie irgendwo hin, wo du schnell dran kommst.“
Juli nickte.
„Ist alles in Ordnung?“
Was für eine Frage! Raku verfluchte sich selbst. Natürlich war nichts in Ordnung! Für sie war alles in Ordnung. Für einen durchschnittlichen ersten Tag an der Front war er gar nicht so schlecht gewesen. Aber für Juli mussten die letzten Stunden, die größte Katastrophe in ihrem bisherigen Leben gewesen sein. Raku hatte das nicht verhindern können. Es hatte so kommen müssen. Aber vielleicht hatte sie einfach etwas deutlicher sein müssen, als sie versucht hatte Juli klarzumachen, d ass es keine gute Idee war, die Einladung der Regierung anzunehmen . Noch war es mehr Abenteuer als Horror. Aber Tote und Gefecht würden nicht lange auf sich warten lassen.
Juli schüttelte den Kopf.
„Du wirst dich daran gewöhnen.“
Es war nicht tröstlich und Raku wollte auch gar nicht trösten. Alles was sie sagen konnte, würde es vielleicht nur noch schlimmer machen, denn Rakus erste und einzige Befürchtung war, dass es für Juli noch schlimmer würde: Dies hier war noch nichts gewesen, nichts im Gegensatz zu dem, was noch kommen würde. Dennoch wollte etw as in ihr mehr tun. Irgendetwas, das Juli zurück in die Bahn half, aus der sie der Angriff eines Panzersprenggeschosses geworfen hatte.
„Gehen wir?“ Julis Stimme war matt und klang ebenso müde, wie ihre Augen Raku ansahen.
Raku nickte. „Ja, wir müssen nach Lyddit. So schnell es geht!“
„Gut.“
Das Aufstehen kostete Juli Kraft, aber ihre Hoffnung war, dass die Bewegung ihr helfen würde zu sich zu finden.
- Kapitel 3 -
Sie erreichten Lyddit in den frühen Morgenstunden des nächsten Tages. Die Sonne begann hinter den Bergen im Osten aufzugehen, als sie die
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