Spielzeugsoldaten
gleiten und genoss jeden Moment der Berührung. Sie hatten keine Gel egenheit gehabt sich zu waschen. Rakus Hände waren noch dreckig vom Schlamm , der sie zu jeder Zeit umgab. S ie waren feucht vom Regen und geschwärzt vom Feuerg efecht, doch sie waren weich, so weich. Juli erwiderte Rakus Lächeln, denn plötzlich war sie sich nicht mehr unsicher. Sie durfte.
„Morgen werde ich vielleicht schon weniger Angst haben“ , fügte Juli bestimmt hinzu.
Raku nickte abwesend. Sie hörte ihr zu, doch die Hand, die ihre hielt, lenkte sie völlig ab. Noch nie hatte jemand ihre Hand so gehalten. N iemals zuvor. Diese Hände töteten, es war vielleicht sogar noch Blut vom Nachmittag an ihnen, doch Juli hielt sie und das war alles was zählte.
„Ich werde dich trotzdem beschützen.“
- Kapitel 5 -
Das Dickicht des Waldes lag in dichtem Nebel, als sie aufbrachen. Es war trocken, aber jeder wusste, dass es nur eine Frage von Stunden war, bis der Regen wieder einsetzen würde. Beinahe hatte die Landschaft etwas I dyllisches. Das Morgenlicht war noch trüb . Es fiel schwach d urch das dichte Blätterdach . Die Sonne spendete wenig Wärme und Juli fror in der kalten Luft. Die wenigen Stunden Schlaf hatten ihr gut getan, immer wieder war sie von blutigen Alpträumen geweckt worden, doch wenn sie ihre Augen öffnete, saß Raku wach und aufmerksam neben ihr.
Raku hatte tatsächlich kaum geschlafen. Sie hatte keine Schwierigkeiten über einen langen Zeitraum mit nur einigen Momenten völliger Ruhe auszukommen, ohne dass ihre Leistungsfähigkeit oder ihre Aufmerksamkeit abnahm en . Das war Teil ihres Jobs, sie hatte es gelernt einige Zeit ohne Schlaf auszukommen. Und sie war in dieser Nacht froh, dass sie diese Fähigkeit hatte. Denn es war die Nacht, in der die Alpträume kamen. Sie vertraute ihrer Einheit und hatte versucht wenigstens ein wenig zu entspannen, mit geschlossenen Augen ein wenig zu r Ruhe zu kommen, doch ihre Gedanken gaben ihr diese Ruhe nicht . Je weiter sie in den Schlaf abdriftete, desto schrecklicher wurde, was si e vor ihrem inneren Auge sah, obwohl sie eigentlich nichts wirklich sah, sondern nur fühlte. Sie war es gewöhnt, dass sie ab und zu Alpträume hatte, das brachte es nun einmal mit sich, wenn man für den Krieg lebte, aber das waren Alpträume, die sie einschätzen konnte, vor denen sie zwar Respekt aber keine Angst hatte. Das, was sie in dieser Nacht um den Schlaf brachte, war anders. Völlig anders.
Es war Raku nicht entgangen, dass Juli Probleme hatte zu schlafen und ihre Augen immer wieder H ilfe suchend aufriss, aber dann schnell wieder einschlief, wenn sie Raku bemerkt hatte.
Sie erreichten die Ruinen noch vor Mittag. Ihr Marsch war ruhig und ereignislos gewesen. Exine hatte ein paar Stunden nach ihrem Aufbruch Kontakt zum Hauptquartier in Lyddit hergestellt, um Raku die Möglichkeit zu geben, einen kurzen Lagebericht abzugeben. Man war zufrieden und berichtete, dass bereits eine größere Einheit unterwegs war, um sich um den Vorfall mit Einheit 46-FG zu kümmern. Ansonsten schien es ein ruhiger Tag zu werden, da fast alle Stellungen an der Front meldeten, dass die Armee von Omina sich aus einigen hart umkämpften Gebieten zurückzog. Es wurde gemunkelt, dass Nachschubschwierigkeiten entstanden waren. Anstatt diese Situation auszunutzen, hatte man beschlossen, bei der derzeitigen Taktik zu bleiben und nur zu verteidigen. Raku hoffte inständig, dass dieser Tag nicht nur ein taktischer Trick der Omina war.
Die Tempelruinen waren auf den ersten Blick k aum vom Wald zu unterscheiden. S ie waren so bemoost und verwittert, dass sie sich nahtlos in das Gewirr aus Ästen und Pflanzen einfügten. Je näher sie jedoch kamen, desto riesiger schien die Anlage zu werden. Das dichte Blätterdach war einer großen Lichtung gewichen, auf der hohe halb eingestürzte Türme in den wolkenlosen Himmel ragten. Die Mauern waren teilweise eingestürzt, teilweise noch in Ordnung und aus gigantischen Steinen, so dass Juli sich fragte, wer es geschafft hatte, diese so unbemerkt mitten in diesen undurchdringlichen Wald zu bringen.
„Wahnsinn!“ flüsterte sie und betrachtete mit weit aufgerissenen Augen den alten Tempel.
Raku lächelte. „Das will ich nicht hoffen. Ich will einen ruhigen Tag.“
Juli sah sie an und stieß sie gegen die Schulter, was einige der jungen Soldaten, die um sie herum standen, vor Angst erstarren ließ. Wie konnte diese Journalistin es wagen, Major Avis anzufassen?
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