Spielzeugsoldaten
Erscheinung dieser beinahe primitiven Lust, die sie früher übermannt hatte, dan n aber schmerzte es plötzlich und sie spürte nicht Lust, sondern nur eine schmerzliche Sehnsucht. Sie schloss die Augen und ve rsuchte , sich zu kontrollieren. Es fühlte sich so alt an, als wäre es immer da gewesen, als könne sie dieser Sehnsucht niemals nachgehen.
„Wir haben ja auch keine Wahl.“
„Richtig.“ Rakus Stimme stockte, als mit einem Mal ein unbestimmtes Gefühl von Traurigkeit in ihr wuchs.
Juli wartete einen Augenblick, denn sie hatte bemerkt, dass Raku etwas beschäftigte. Ihr war aufgefallen, dass schon vor einigen Minuten, als Raku ihre Wunde am Arm versorgt hatte, ihre Gedanken abgeschweift waren. Was auch immer es war, es plagte Raku offensichtlich sehr hartnäckig. Sie verlor ihre gewohnte Contenance und wirkte auf bittere Art und Weise verletzlich .
„Bist du zu müde, um mir diese Sache mit dem Altar zu erklären?“ fragte sie vorsichtig.
Raku lächelte mit geschlossenen Augen. Konnte sie denn nie aufhören zu fragen? Dann richtete sie sich auf und blickte Juli direkt in die Augen. Sie hatte sich geschworen, dieses Mal nicht schwach zu werden, nicht ihre Gefühle außer Kontrolle geraten zu lassen und es gelang i hr, beinahe. Unverwandt sahen sie sich an. Raku noch immer mit einem Lächeln auf den Lippen. Sie betrachtete Juli aufmerksam, jedes Grübchen, jede klei ne Falte, jede Sommersprosse, nichts entging ihr. Der feine Schwung ihrer Augenbrauen und ihre Lippen , wohin führte das? Sie konnte sich Juli nicht entziehen.
„Nei n. Ihr Glaube ist anders als all es was du vielleicht kennst. S ie glauben an die Seele. An ihre Seelen “, sie zögerte, „an die Ewigkeit der Seelen. Sie glauben, dass wir alle wiedergeboren werden, immer und immer wieder. Und der Altar dient als Erinnerung an all die Leben, die sie einmal geführt haben. Vielleicht sind sie auch deswege n so freundlich und friedlich. S ie glauben, dass man nicht wissen kann, ob der Mensch der heute Feind ist nicht in einem anderen Leben einmal ein Freund war. Der König von Geison ist aus ihrer Sich t seit Jahrtausenden derselbe, eine Wiedergeburt.“
„Ich dachte immer Geison wäre so eine Art Bauernstaat. Zumindest lernen wir das ja in der Schule .“
„Nein, Geison ist mehr als das. Es stimmt, sie leben einfacher als wir, aber ich glaube, sie leben besser, zufriedener. Es ist ein sakraler Staat. Der König ist auch ihr geistliches Oberhaupt.“
„Warum gerade er? Du sagtest er sei eine Wiedergeburt.“
„Genau das ist der Grund. Er ist ein ‚Erwachter’, er erinnert sich an all seine Leben und ist damit der weiseste Mann des Landes.“
„Das klingt ziemlich verrückt.“
„Vielleicht ist es das auch. Es gibt sehr viele Mythen und Legenden über den König und auch über die Wie dergeburt der Seelen an sich, aber- “
Juli lächelte, als sie einen kleinen Seufzer von Raku vernahm. Sie hatte sich gefreut, dass Raku so begeistert von etwas sprach, aber es war ihr dennoch nicht entgangen, dass es sie anstrengte .
„Schon gut, ich weiß. Du willst nicht so viel reden. Schon okay. Es gibt keinen Gott?“
Raku schüttelte den Kopf. „Nein, kein Gott, nur den Menschen.“
„Woher weißt du das alles?“
„Als ich das letzte Mal hier war, brachten mich Nomaden in ein Kloster oben in den Bergen. Ich habe einige Wochen dort verbracht. Ich habe eine Menge von ihnen gelernt.“
„Von den Mönchen?“
„Ja, sehr kluge Männer “, sie überlegte einen Augenblick, „sie haben mich sehr beeindruckt.“
Es vergingen einige Sekunden bis Juli begriff. Rakus Offenheit hatte ihr imponiert. In den vielen Stunden, die sie mittlerweile miteinander verbracht hatten, hatte Raku nur selten etwas mehr von sich preis gegeben, als das, was Juli sich ohnehin schon dachte. Rakus dunkle, blaue Augen blickten sie etwas verklärt an, so als würde sie sich gerade an ihre Tage in dem Kloster erinnern und gar nicht richtig wahrnehmen, dass Juli vor ihr saß und sie ansah.
„Ist das der Ort wo du hin willst? Willst du wieder zu diesem Kloster.“
Raku nickte. Genau dorthin!
~*~
Dies war die erste Nacht in der Juli dicht neben Raku in ihr Fell gehüllt einschlief. Sie lagen so nah wie es möglich war, ohne sich zu berühren. Der ruhige, stetige Herzschlag des anderen, das bloße Wissen , das s der andere da war, beruhigte sie. Und als die ersten Sonnenstrahlen ins Zelt fielen erwachten sie, beinahe gleichzeitig, besser erholt
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