Spielzeugsoldaten
strich Raku über die von Tränen feuchte Wange.
Sie schlang ihre Arme um Raku. Es war wie eine unglaubliche Last, die von ihr gefallen war. Ohne etwas zu sagen, wusste sie, ihr Herz, ihre Seele n schienen zu verstehen. Aber ihr Verstand? Der fragte noch immer leise nach dem W arum und ob das alles überhaupt möglich war. Doch wozu die Fragen? Der Moment zählte, die Gegenwart. A lles was sie wollte war Raku, um jeden Preis. Juli und Raku nahmen die Tumulte in den Fluren des König s traktes nicht wahr. Draußen vor den schweren, dunkeln Holztüren der königlichen Gemächer liefen die Mönche und Novizen durch die Gänge. König Abisha war da und z war aus einem besonderen Grund. Sie wussten nicht genau was passiert war, aber alle konnten sie die Fakten verknüpfen und sich einen Reim auf die Vorgänge im Kloster machen. Nur des Ausmaßes waren sie sich nicht bewusst. Der junge Abisha durchquerte schnellen Schrittes mit seiner Entourage die Gänge. Eingehüllt in sein leuchtendes Gewand schwebte er geradezu durch die kalten Flure und trotz seiner zarten Statur hatten seine Begleiter Mühe i h m zu folgen. Er begrüßte beinahe jeden Mönch mit einem würdevollen Kopfnicken, dem ein en oder anderen Novizen zwinkerte er verschwörerisch zu, doch nirgends verweilte er lang. Er wollte sie sehen. Er wollte mit ihnen sprechen. Er spürte die Präsenz ihrer Seelen so intensiv, dass er sich seit seiner Meditation auf nichts mehr hatte konzentrieren können.
„Raku, mer em schen! Raku!“
Noch bevor er selbst die Türen zu den königlichen Gemächern öffnete, rief König Abisha ihren Namen. Die Türen flogen auf und Abisha schritt zielstrebig in die Gemächer, die er so gut kannte, aber doch nicht mochte. Erschüttert vom Anblick, der sich ihnen bot, verharrten der König und seine Mönche im Eingang. Juli und Raku saßen in völliger Stille voreinander. Sie sahen sich nicht an, sie lagen sich nicht in den Armen, kein Lachen, keine Regung kam von ihren Lippen. Nur ihre Köpfe berührten sich. Stirn an Stirn saßen sie da, atm e ten im gleichen Rhythmus, völlig selbstvergessen.
„Raku, mer em schen“ , flüsterte Abisha leise, ganz leise , um den Moment nicht zu zerstören.
Die hohe Stimme des Königs drang zu ihnen wie durch einen Nebel. Fern und matt klang sie, so als seien die Worte nie gesprochen worden . Raku und Juli konnten nicht sagen, wie es gekommen war, dass sie nun einfach da saßen und sich berührten. Wie die Leidenschaft plötzlich nicht versiegt, aber in den Hintergrund getreten war. Es war einfach so. Es war al s hätten sie sich viel zu sagen, ohne ein Wort dabei sprechen zu müssen . Eine schier unerträgliche Ruhe und Stille umgab sie. Ihre Zufriedenheit war greifbar. D ie Luft war voll von ihr. Vom Glück, von der Erleichterung. Eine leichte Brise der eisigen Luft von den Bergen ging durch die königlichen Gemächer. Kaum wahrnehmbar strich sie durch die Vorhänge. Juli und Raku verharrten. Sie hörten die Stimme, doch sie hatte keinerlei Bedeutung. Zu wunderbar war der Frieden, den sie plötzlich empfanden. In der Tiefe brodelten noch immer Angst und Zweifel, aber sie waren fast besiegt.
„Sie nehmen euch nicht wahr, mein König“ , flüsterte Chenti.
Abisha nickte. „Ja, ich weiß. Sie erinnern sich. Sie kommen zurück. Sie brauchen noch Zeit. “
Er lächelte zufrieden. Dennoch wusste er, er würde mit ihnen sprechen müssen. Jetzt oder später. Wann auch immer sich eine Gelegenheit bot, aber es war nötig ein paar Dinge zu erklären. Eigentlich war er sich nicht sicher, ob es nötig war. E i n Teil von ihm sagt e, es sei nicht von Bedeutung. S ie waren mit diesem Glauben, mit diesem Wissen nicht aufgewachsen. Warum sollte es nötig sein ihnen Dinge zu erklären von denen sie nun wussten, dass sie einfach geschehen konnten. Sie waren doch offensichtlich zufrieden. Warum also eine Erklärung? Aber er wollte sicher gehen, dass keine Missverständnisse entstehen. Schließlich wusste er nicht , was in ihnen wirklich vorging. Er sah und spürte es nur. Und trotz seiner vielen Leben und Erfahrungen, wusste er, dass dies nicht viel zu sagen hatte. Die Dinge waren einfach oft nicht das wonach sie aussahen, das hatte ihn das Leben bisher gelehrt. Still verharrten der Mönch und seine Begleiter in der Tür. Der Anblick von Juli und Raku zog sie in seinen Bann.
„Raku mer em schen, wenn ihr mich hört, kommt in das Büro des Abtes, wenn es euch beliebt. Ich muss mit euch sprechen. Dringend!“
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