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Spillover

Spillover

Titel: Spillover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Quammen
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handeln.« 140
    Andere Befunde deuteten darauf hin, dass es ein Retrovirus sein könnte. Das war etwas Neues, aber neu war AIDS ja auch. Das einzige menschliche Retrovirus, das man Anfang 1981 kannte, war das menschliche T-Zell-Leukämievirus ( human T-cell leukemia virus , HTLV ), das kurz zuvor vom Team des hoch angesehenen und höchst ehrgeizigen Wissenschaftlers Robert Gallo entdeckt worden war. Gallo leitete das Laboratory of Tumor Cell Biology, das zum National Cancer Institute in Bethesda (Maryland) gehörte. HTLV greift, wie der Name schon vermuten lässt, die T-Zellen an und lässt sie entarten. Die T-Zellen sind einer der drei Haupttypen von Lymphocyten im Immunsystem. (Später wurde die Abkürzung HTLV zu human T-lymphotrophic virus umgedeutet, was ein wenig präziser ist.) Ein verwandtes Retrovirus, das Katzen-Leukämievirus, verursacht bei Katzen eine Immunschwäche. Deshalb wuchs bei den Tumorvirologen der Verdacht, dass es sich auch bei dem AIDS -Erreger, der die Lymphocyten (insbesondere die T-Helferzellen, eine Untergruppe der T-Zellen) angreift und damit das Immunsystem des Menschen zerstört, ebenfalls um ein Retrovirus handeln könnte. Nun machte sich Montagniers Arbeitsgruppe auf die Suche.
    Das Gleiche tat auch Gallos Institut. Und die beiden waren nicht die Einzigen. Auf der ganzen Welt hatten zahlreiche Wissenschaftler an anderen Instituten erkannt, dass die Identifizierung der AIDS -Ursache das aktuellste, dringendste und potenziell lohnendste Projekt der medizinischen Forschung war. Im späten Frühjahr 1983 hatten drei Teams unabhängig voneinander ein Virus isoliert, das als Erreger infrage kam, und am 20. Mai gaben zwei dieser Arbeitsgruppen im Fachblatt Science ihre Entdeckung bekannt. Montagniers Gruppe in Paris hatte Zellen eines 33-jährigen Homosexuellen untersucht, der an einer Lymphadenopathie (Schwellung der Lymphknoten) litt, und dabei ein neues Retrovirus gefunden, das sie als LAV (Lymphadenopathievirus) bezeichneten. Auch Gallos Gruppe stellte ein von ihr entdecktes neues Virus vor, das Gallo für einen engen Verwandten der menschlichen T-Zell-Leukämieviren hielt (mittlerweile gab es ein zweites, das HTLV-II hieß; das erste war zu HTLV-I geworden). Diesen neuen Erreger ordnete er mit der Bezeichnung HTLV-III in seinen Erregerzoo ein. Das französische LAV und Gallos HTLV s hatten zumindest eines gemeinsam: Alle waren tatsächlich Retroviren. Aber diese Familie ist umfangreich und vielgestaltig. Ein Editorial in derselben Ausgabe von Science kündigte die Artikel von Gallo und Montagnier mit einer irreführenden Überschrift an: »Menschliches T-Zell-Leukämievirus mit AIDS in Verbindung gebracht«. Und das, obwohl Montagniers LAV kein menschliches T-Zell-Leukämievirus war. Montagnier wusste es besser, aber sein Science -Artikel traf offenbar keine klare Unterscheidung, und durch das Editorial wurde die Abgrenzung endgültig verschleiert.
    Nachdem man klarer sah und eine korrekte Einordnung vorgenommen hatte, war aber auch Gallos » HTLV-III « kein HTLV mehr. Wie sich herausstellte, war es nahezu identisch mit dem Pariser LAV , von dem Montagnier der amerikanischen Gruppe eine tiefgefrorene Probe überlassen hatte. Montagnier hatte die Probe persönlich auf Trockeneis nach Bethesda gebracht und übergeben.
    Damit war schon frühzeitig Verwirrung gestiftet – Verwirrung darüber, was man eigentlich entdeckt hatte, wer es entdeckt hatte und wann es entdeckt worden war. Zusammen mit brennendem Ehrgeiz, Konkurrenzdenken und gefördert durch gegenseitige Anschuldigungen sollte diese Verwirrung jahrzehntelang den Nährboden für Konflikte bilden. Es gab Gerichtsverfahren. Man stritt sich um die Einnahmen aus dem Patent für einen AIDS -Bluttest, der mit Viruskulturen aus Gallos Institut entwickelt worden war, die sich aber auf Montagniers ursprüngliches Isolat zurückführen ließen. (Bei der Laborarbeit mit Viren sind Verunreinigungen ein altbekanntes Problem.) Es war kein kleinliches Gezänk. Es war ein großer Konflikt, in dem Kleinlichkeit eine nicht geringe Rolle spielte. Letztlich stand neben Geld, Eitelkeit und Nationalstolz nicht nur der Fortschritt oder die Verzögerung der AIDS -Forschung auf dem Spiel, sondern auch der Nobelpreis für Medizin. Der wurde am Ende Luc Montagnier und seiner wichtigsten Mitarbeiterin Françoise Barré-Sinoussi verliehen.
    Eine dritte Arbeitsgruppe, die in aller Stille unter Leitung von Jay A. Levy an der University of California School of

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