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Spillover

Spillover

Titel: Spillover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Quammen
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Ein paar Wissenschaftler hatten den Gedanken schon früher in aller Stille erörtert, und einer von ihnen setzte Tom Curtis auf die Geschichte an. Als der Journalist der Sache nachging, reagierten mehrere angesehene Wissenschaftler so abwehrend, dass sich sein Eindruck verstärkte, an der Theorie könnte etwas dran sein. Curtis zitiert William Haseltine von der Harvard University mit den Worten: »Es lenkt ab, es ist unproduktiv, es ist für die Öffentlichkeit verwirrend, und nach meiner Überzeugung ist es unter dem Gesichtspunkt, dass man eine Lösung für das Problem finden will, ungeheuer irreführend.« 152 Nachdem der Artikel erschienen war, reichten Hilary Koprowskis Anwälte gegen Curtis und den Rolling Stone eine Klage wegen Rufschädigung ein; daraufhin veröffentlichte das Magazin eine »Klarstellung«, in der eingeräumt wurde, die OPV-Theorie und Koprowskis Rolle seien nur eine unbewiesene Hypothese. Aber als sich der Staub rund um den Rolling-Stone -Artikel gelegt hatte, machte der englische Journalist Edward Hooper die OPV-Theorie zu seiner persönlichen Angelegenheit; er begab sich auf einen Recherchekreuzzug und brachte das Thema erneut aufs Tapet.
    Hooper recherchierte in der Angelegenheit mehrere Jahre mit bemerkenswerter Hartnäckigkeit (allerdings nicht immer mit kritischem Bewusstsein) und stellte seine Erkenntnisse 1999 in einem tausendseitigen Buch mit dem Titel The River: A Journey to the Source of HIV and AIDS zusammen. Der Fluss war eine Metapher für den Gang der Geschichte, den Strom von Ursachen und Wirkungen, der von kleinen Anfängen zu einem Meer von Folgen führt. In der Einleitung des Buches spielt er auf die Suche nach der Nilquelle an. Damals, im 19. Jahrhundert, stritten sich die Gelehrten, ob dieser Fluss am Victoriasee entspringt, den er an den Ripon Falls verlässt, oder ob es noch eine andere, versteckte Quelle gibt. »Die Kontroversen rund um die Nilquelle«, schreibt Hooper, »hallen eineinhalb Jahrhunderte später auf seltsame Weise in einer anderen Kontroverse wider, der langjährigen Diskussion um die Ursprünge von AIDS .« 153 Die viktorianischen Forschungsreisenden hatten, was die Nilquelle anging, Unrecht gehabt, und ebenso hatten nach Hoopers Ansicht auch die modernen Experten Unrecht mit ihren Ansichten über den Ausgangspunkt der AIDS -Pandemie.
    Das Buch verhalf der OPV -Theorie zu größerer öffentlicher Aufmerksamkeit. Wie Curtis hatte Hooper den Gedanken von einer Besorgnis erregenden Möglichkeit zu einer donnernden Anklage gemacht. Doch mit all seinen Informationen und Argumenten konnte er die zentrale These, dass Koprowskis Impfstoff aus HIV -infizierten Schimpansenzellen hergestellt worden sei, nicht beweisen. Was am Ende blieb, war der Gedanke, dass der Impfstoff aus Schimpansenzellen hergestellt worden sein könnte , die möglicherweise verunreinigt waren.
    Auf Drängen eines angesehenen Evolutionsbiologen namens William Hamilton, nach dessen Ansicht die OPV -Theorie eine Untersuchung verdiente, berief die Royal Society im September 2000 eine Sonderkonferenz ein, auf der das Thema im größeren Zusammenhang diskutiert werden sollte. Hamilton war ein erfahrener, beliebter und respektierter Wissenschaftler. Er brachte die Royal Society dazu, der OPV- Theorie eine faire Anhörung zu verschaffen. Obwohl Edward Hooper selbst kein Wissenschaftler war, wurde er zu einem Vortrag eingeladen. Hilary Koprowski kam ebenfalls, außerdem eine ganze Reihe führender AIDS -Forscher. Aber als die Konferenz begann, war William Hamilton tot.
    Er starb ganz plötzlich im März 2000 an Darmblutungen, nachdem er sich auf einer Forschungsreise in die Demokratische Republik Kongo eine Malariaerkrankung zugezogen hatte. Nun diskutierten seine Kollegen bei der Royal Society ohne ihn ein breites Spektrum verschiedener Themen, die mit dem Ursprung von HIV und AIDS zu tun hatten. Die OPV-Theorie war nur ein Thema unter vielen, unausgesprochen wurde sie jedoch zur Triebkraft für die gesamte Tagesordnung. Sprachen die vorhandenen molekularbiologischen und epidemiologischen Daten eher für oder gegen das Szenario von dem verunreinigten Impfstoff? Im Zusammenhang mit dieser Frage stand eine zweite: Wann war HIV -1 erstmals in die menschliche Bevölkerung eingedrungen? Wenn die ersten Infektionen schon vor 1957 stattgefunden hatten, konnten sie nicht auf Koprowskis OPV -Erprobung zurückzuführen sein. Den entscheidenden Hinweis konnte also möglicherweise HIV -positives

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