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Spillover

Spillover

Titel: Spillover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Quammen
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Schimpansen weit hinter sich gelassen. Die Bluter erreichte es mit Blutprodukten. Drogensüchtige erreichte es durch gemeinsam benutzte Spritzen. Homosexuelle Männer erreichte es durch sexuelle Übertragung.
    Ein Dutzend Jahre lang wanderte HIV in aller Stille von Mensch zu Mensch. Symptome traten erst nach und nach auf. Der Tod hinkte eine gewisse Zeit hinterher. Niemand wusste es. Anders als Ebola, anders als Marburg war dieses Virus geduldig. Geduldiger sogar als das Tollwutvirus, aber ebenso tödlich. Irgendjemand übertrug es auf Gaëtan Dugas. Irgendjemand übertrug es auf Randy Shilts. Irgendjemand übertrug es auf einen 33-jährigen Mann in Los Angeles, der schließlich an Lungenentzündung und einem Pilz der Mundhöhle erkrankte und im März 1981 in die Praxis von Dr. Michael Gottlieb kam.
    159 Zitiert in Martin (2002), S. 25
    160 Pépin (2011), S. 90
    161 Cohen (2002), S. 15
    162 Keele et al. (2009), S. 515
    163 Beheyt (1953), zitiert in Pépin (2011), S. 164
    164 Beheyt (1953), zitiert in Pépin (2011), S. 164
    165 Pépin (2011), S. 161
    166 Pépin (2011), S. 196

KAPITEL IX Es kommt darauf an

103
    Ausbruch
    Zum Schluss möchte ich eine kleine Geschichte über Raupen erzählen. Es mag so aussehen, als würden wir uns damit von den Ursprüngen und Gefahren zoonotischer Krankheiten entfernen, aber glauben Sie mir: Sie passt genau zum Thema.
    Meine Geschichte beginnt 1993. In der von Bäumen beschatteten Kleinstadt, in der ich wohne, schien der Herbst in diesem Jahr früh zu kommen – früher als es selbst in einem Tal im Westen von Montana üblich ist: Dort wehen ab Mitte August die kalten Winde, Anfang September verfärben sich die Pappeln, und die ersten starken Schneefälle versetzen häufig schon den Halloween-Feiern einen Dämpfer. Dieses Mal war es anders. Es war erst Juni. Aber die Landschaft sah aus wie im Herbst, weil die Bäume kahl waren. Ihre Blätter hatten sich, wie immer, im Mai weit und frisch und grün entfaltet, und nur einen Monat später waren sie verschwunden. Sie waren nicht wie im Herbst gelb geworden und abgefallen, um sich als Laubberge in den Rinnsteinen zu sammeln. Nein, sie waren gefressen worden.
    Unmassen kleiner, haariger Larven waren aufgetaucht wie eine alttestamentarische Plage und hatten die Bäume ihres Blattwerks beraubt. Der lateinische Name für diese gierigen Blattfresser lautet Malacosoma disstria , aber alle Welt nannte sie tent caterpillars (»Zeltraupen«). Das war nicht ganz falsch, aber auch nicht richtig. Eigentlich handelte es sich um den forest tent caterpillar , der allerdings – anders als der eng verwandte western tent caterpillar ( Malacosoma californicum ) – gar keine zeltähnlichen Gespinste baut. Im Deutschen werden die Arten der Gattung Malacosoma als »Ringelspinner« bezeichnet. Aber für solche insektenkundlichen Feinheiten interessierten wir uns nicht. Wir wollten wissen, wie wir die verdammten Biester umbringen konnten, bevor sie alle Laubbäume in unserer Stadt abgefressen hatten.
    Es war grässlich und beängstigend zugleich. Nicht alle Bäume wurden kahl, aber es waren viele, insbesondere die alten, turmhohen Ulmen und die grünen Eschen, die entlang der Straßen standen und ihre Kronendächer über die Fahrbahnen wölbten. Alles ging sehr schnell. Die Raupen fraßen vor allem tagsüber oder am frühen Abend, aber in manchen Juninächten konnte man unter großen Bäumen auch später noch ein leises Knistern hören, wie von einem entfernten Waldbrand, wenn ihre Exkremente über die Blätter abwärtsrieselten. Morgens waren die Bürgersteige von Kotkügelchen übersät, die wie Mohnsamen aussahen. Hier und da ließ sich eine einsame Raupe an einem seidenen Faden bis auf Augenhöhe herab, als wollte sie uns verspotten. Nässe und Kälte mochten die Raupen nicht; an regnerischen Tagen sahen wir, wie sie zu Hunderten hoch oben an einem Baumstamm oder in einer Astgabel zusammenrückten. Wir kletterten auf Leitern und besprühten die Raupen aus Spritzflaschen mit Seifenwasser. Wir behandelten sie mit einem Nebel aus Bakterien oder aggressiven Chemikalien, die uns von den Verkäufern in den örtlichen Gartencentern empfohlen wurden, doch die wussten kaum mehr als wir. Wir riefen Firmen zur Schädlingsbekämpfung zu Hilfe, die mit Einsatztrupps in Schutzanzügen anrückten. Alle diese Maßnahmen hatten offensichtlich im besten Fall geringfügige Wirkungen, im schlimmsten waren sie einfach nur giftig und nutzlos. Die Raupen mampften weiter. Wo es

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