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Spillover

Spillover

Titel: Spillover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Quammen
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Blutzellen stützte, wurde die Ankunft von HIV -1 in Haiti ungefähr auf das Jahr 1966 plus/minus einige Jahre verlegt. Der Artikel erschien in den Proceedings of the National Academy of Sciences . Wenig später erhielt Worobey eine seltsame E-Mail von einem Fremden. Es war ein Zeitungsleser oder Radiohörer. »Ich glaube, er war aus Miami«, erzählte mir Worobey. »Er sagte, er habe auf einem Flughafen gearbeitet, der am Handel mit Blut beteiligt war.« Der Mann hatte bestimmte Erinnerungen. Vielleicht verfolgten sie ihn. Er wollte sie jemandem mitteilen. Er wollte Worobey davon erzählen, wie Frachtflugzeuge voller Blut eintrafen.
    102
    Von Haiti in die Welt
    Der nächste Sprung des Virus überwand nur eine kleine Entfernung, hatte aber große Folgen. Port-au-Prince ist lediglich rund 1200 Kilometer von Miami entfernt. Ein Flug von eineinhalb Stunden. Im Rahmen des Projekts, das Tom Gilbert in Worobeys Institut betrieb, wollte er den Zeitpunkt ermitteln, an dem HIV -1 in die Vereinigten Staaten gekommen war. Zu diesem Zweck brauchte er alte Blutproben. Ob das Blut in Flaschen, Plastikbeuteln oder eingewanderten Haitinanern nach Nordamerika gekommen war, spielte für ihn keine Rolle.
    Worobey, Gilberts Chef, erinnerte sich an eine Studie über haitianische Einwanderer mit Immunschwäche, die zwanzig Jahre zuvor erschienen war. Geleitet hatte sie Arthur E. Pitchenik, ein Arzt, der damals am Jackson Memorial Hospital in Miami tätig war. Pitchenik war Experte für Tuberkulose, und seit 1980 fiel ihm bei Patienten aus Haiti eine ungewöhnlich große Häufigkeit dieser Krankheit und auch der Pneumocystis -Lungenentzündung auf. Als Erster warnte er, Haitianer seien im Hinblick auf das neue Immunschwächesyndrom eine Risikogruppe, woraufhin auch die CDC aufmerksam wurden. Im Rahmen ihrer klinischen Arbeit und Forschung sammelten Pitchenik und seine Kollegen Blut von Patienten, zentrifugierten es, trennten Serum von Zellen und konnten anschließend einzelne Gruppen von Lymphocyten genauer betrachten. Einige Proben froren sie auch ein, weil sie davon ausgingen, dass diese später für andere Wissenschaftler nützlich sein könnten. Damit hatten sie Recht. Zunächst einmal schien sich aber lange niemand dafür zu interessieren. Erst nach zwanzig Jahren bekam Arthur Pitchenik einen Anruf von Michael Woroney aus Tucson. Ja, erklärte Pitchenik, er werde dem Kollegen gern Material schicken.
    Worobeys Institut erhielt sechs Röhrchen mit tiefgefrorenen Blutzellen, und es gelang Tom Gilbert, aus fünf davon Virusbruchstücke zu vermehren. Nach der genetischen Sequenzierung konnte man diese Fragmente als Äste einem anderen Stammbaum zuordnen, wie Worobey selbst es später mit DRC60 und ZR59 und Beatrice Hahns Arbeitsgruppe mit SIV cpz machte. Es war molekulare Phylogenetik. In diesem Fall repräsentierte der Stammbaum die vielgestaltige Abstammungslinie der HIV -1-Gruppe M, Subtyp B. Seine wichtigsten Äste bestanden aus den Viren, die man aus Haiti kannte. Auf einem davon wuchsen so viele kleine Zweige, dass er sie nicht alle darstellen konnte. In der Abbildung, die schließlich veröffentlicht wurde, sind dieser Ast und seine kleinen Zweige verschwommen dargestellt; sie bilden einfach einen einfarbig braunen Kegel, in dem eine Liste von Namen steht. Diese geben an, wohin der Subtyp B von Haiti aus gewandert war: in die Vereinigten Staaten, nach Kanada, Argentinien, Kolumbien, Brasilien, Ecuador, die Niederlande, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Estland, Südkorea, Japan, Thailand und Australien. Außerdem war er zurück nach Afrika gelangt. HIV war globalisiert.
    In ihrer Studie berichten Gilbert und Worobey noch über einen weiteren pikanten Befund. Ihre Daten und Analysen deuten darauf hin, dass nur eine einzige Wanderung des Virus – eine infizierte Person oder ein Behälter mit Plasma – dafür verantwortlich war, dass AIDS nach Nordamerika kam. Dieses traurige Ereignis hat sich 1969 plus/minus drei Jahre abgespielt.
    In den Vereinigten Staaten lauerte das Virus also mehr als zehn Jahre, bevor es irgendjemandem auffiel. Mehr als zehn Jahre sickerte es in die Netzwerke der Kontakte und Verbindungen ein. Insbesondere wanderte es auf bestimmten Wegen von Zufall und Gelegenheit in bestimmte Untergruppen der amerikanischen Bevölkerung. Ein Schimpansenvirus war es jetzt nicht mehr. Es hatte einen neuen Wirt gefunden und sich angepasst, großartigen Erfolg gehabt und den Horizont seines alten Daseins in den

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