Spin
dich an und sehe immer noch das Mädchen auf dem Rasen vor dem Großen Haus. Vielleicht hat E. D. also Recht. Fünfundzwanzig gestohlene Jahre. Sie sind ziemlich schnell vergangen.«
Diane nahm es schweigend hin. Warme Luft bewegte die Ginganvorhänge, das Zimmer wurde dunkler. Dann sagte sie: »Mach die Tür zu.«
»Würde das nicht ein bisschen ungewöhnlich aussehen?«
»Mach die Tür zu, Tyler, ich möchte nicht, dass jemand mithört.«
Also schloss ich die Tür, ganz vorsichtig, und sie erhob sich, kam zu mir, fasste mich an den Händen. Ihre Hände waren kühl. »Wir sind dem Ende der Welt zu nahe, um einander zu belügen. Es tut mir Leid, dass ich nicht mehr angerufen habe, aber es sind vier Familien, die sich ein Haus und ein Telefon teilen – es ist leicht zu erkennen, wer telefoniert und wohin.«
»Simon hat es nicht erlaubt.«
»Im Gegenteil, Simon hätte es akzeptiert. Simon akzeptiert die meisten meiner Gewohnheiten und Eigenarten. Aber ich möchte ihn nicht belügen, diese Last möchte ich nicht tragen. Ich muss allerdings zugeben, dass mir unsere Gespräche fehlen, Tyler. Diese Gespräche waren wie Rettungsleinen. Als ich kein Geld hatte, als die Kirche sich gespalten hat, als ich mich ohne Grund einsam gefühlt habe… der Klang deiner Stimme war wie eine Transfusion.«
»Warum dann damit aufhören?«
»Weil es illoyal ist. Damals. Und jetzt.« Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie mir einen schwierigen, aber wichtigen Gedanken vermitteln. »Ich weiß, wie du das mit dem Spin meinst. Ich denke auch darüber nach. Manchmal tue ich so, als gäbe es eine Welt, in der der Spin nicht passiert und unser Leben anders verlaufen ist. Unser Leben, deins und meins.« Sie holte zitternd Luft, errötete heftig. »Und wenn ich schon nicht in dieser Welt leben kann, dachte ich, könnte ich sie wenigstens alle paar Wochen besuchen und dich anrufen, und wir könnten alte Freunde sein und uns über etwas anderes unterhalten als das Ende der Welt.«
»Das hältst du für illoyal?«
»Es ist illoyal. Ich habe mich in Simons Obhut begeben. Er ist mein Ehemann. Selbst wenn das keine weise Entscheidung gewesen sein sollte, so war es doch meine Entscheidung, und ich bin vielleicht keine so gute Christin, wie ich sein sollte, aber ich habe doch ein Bewusstsein für Pflicht und Beharrlichkeit und dafür, zu jemandem zu stehen, selbst wenn…«
»Selbst wenn was, Diane?«
»Selbst wenn es wehtut. Ich glaube, keiner von uns beiden sollte weiter über das Leben nachdenken, das wir hätten haben können.«
»Ich bin nicht gekommen, um dich unglücklich zu machen.«
»Nein, aber diese Wirkung hat es.«
»Dann werde ich nicht bleiben.«
»Bleib zum Essen. Das ist ein Gebot der Höflichkeit.« Sie blickte zu Boden. »Lass mich dir noch etwas sagen, solange wir noch ungestört sind. Ich teile nicht alle von Simons Glaubensgrundsätzen. Ich kann nicht glauben, dass die Welt damit enden wird, dass die Gläubigen zum Himmel auffahren. Gott möge mir vergeben, aber das erscheint mir einfach nicht plausibel. Doch ich glaube, dass die Welt enden wird. Dass sie schon dabei ist zu enden. Schon angefangen hat, unser aller Leben zu beenden. Und…«
»Diane…«
»Nein, lass mich zu Ende sprechen. Lass mich beichten. Ich glaube, dass die Welt enden wird. Ich glaube, was Jason mir vor vielen Jahren erzählt hat – dass eines Morgens eine riesige Sonne aufgehen wird und dass dann in wenigen Stunden oder Tagen unsere Zeit auf der Erde abgelaufen ist. Und ich möchte an dem betreffenden Morgen nicht allein sein.«
»Das möchte niemand.« Außer vielleicht Molly Seagram, dachte ich. Molly, die den Film On the Beach mit ihrem Fläschchen voller Selbstmordpillen nachspielt. Molly und alle Leute ihresgleichen.
»Und ich werde nicht allein sein. Ich werde bei Simon sein. Was ich dir beichten möchte, Tyler – und wofür ich auf Vergebung hoffe –, ist, dass es, wenn ich mir diesen Tag ausmale, nicht unbedingt Simon ist, mit dem ich mich zusammen sehe.«
Die Tür ging polternd auf. Simon. Mit leeren Händen. »Jetzt steht das Essen doch schon auf dem Tisch«, sagte er. »Zusammen mit einem großen Krug Eistee für durstige Reisende. Komm mit runter und setz dich zu uns. Es ist für alle reichlich da.«
»Danke«, erwiderte ich. »Das klingt gut.«
Die acht Erwachsenen, die das Farmhaus gemeinsam bewohnten, waren die Sorleys, Dan Condon und seine Frau, die McIsaacs und Simon und Diane. Die Sorleys hatten drei Kinder,
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