Spin
technisch avancierte Ballons, die auf unbestimmte Zeit in der Stratosphäre schweben konnten. Fünf Jahre später trugen E. D.s Aerostaten Telekom-Nutzlasten und Leitungsverstärker, ermöglichten Multipointstimmen- und Daten-Übertragungen, bewerkstelligten fast alles (außer GPS und Astronomie), was konventionelle Satelliten auch gekonnt hätten. E. D.s Macht und Einfluss waren schnell gewachsen. Erst vor kurzem hatte er eine Raumfahrt-Lobbygruppe, die Perihelion-Stiftung, gegründet, und er hatte die Regierung bei einer Reihe von Projekten beraten, die nicht in der Öffentlichkeit verhandelt wurden. In diesem Fall ging es um das ARV-Programm – Automated Reentry Vehicle, also automatisierte Wiedereintrittsfahrzeuge – der NASA.
Die NASA hatte ihre ARV-Sonden in den letzten Jahren immer weiter verfeinert, um den Oktoberschild zu untersuchen. Konnte man ihn durchdringen? Konnten nützliche Daten von außerhalb gewonnen werden?
Der erste Versuch war buchstäblich ein Schuss ins (Dunkel-) Blaue, eine einfache ARV-Nutzlast auf einer aufpolierten Lockheed Martin Atlas 2AS, hinaufgeschleudert in die absolute Dunkelheit über der Vandenberg Air Force Base. Anfangs hatte es nach einem Fehlschlag ausgesehen. Der Satellit, der eine Woche in der Umlaufbahn hätte bleiben sollen, stürzte wenige Augenblicke nach dem Start unweit der Bermudas in den Atlantik. Als ob er, sagte Jason, gegen die Oktober-Ereignis-Grenze gestoßen und zurückgeprallt wäre.
Aber er war nicht abgeprallt. »Als sie ihn bargen, konnten sie die Daten einer ganzen Woche downloaden.«
»Wie ist das möglich?«
»Die Frage ist nicht, was möglich ist, sondern was passiert ist. Und passiert ist eben, dass die Nutzlast sieben Tage in der Umlaufbahn verbracht hat und in derselben Nacht zurückgekehrt ist, in der sie gestartet war. Woher wissen wir, dass es so war? Weil jedes Mal das Gleiche passiert ist, bei jedem Start, den sie danach unternommen haben – und sie haben es noch mehrmals versucht.«
»Was ist passiert? Wovon sprichst du, Jase? Zeitreisen?«
»Nein… eigentlich nicht.«
»Eigentlich nicht?«
»Lass ihn einfach erzählen«, sagte Diane ruhig.
Es gebe alle möglichen Hinweise auf das, was tatsächlich geschehen ist, berichtete Jason. Beobachtungen vom Boden aus schienen darauf hinzudeuten, dass die Trägerraketen beschleunigt hatten, bevor sie hinter der Barriere verschwanden – so, als seien sie hineingezogen worden. Doch die sichergestellten Borddaten zeigten keinen solchen Effekt. Die jeweiligen Beobachtungen ließen sich nicht miteinander vereinbaren: Vom Boden aus gesehen, waren die Satelliten mit Beschleunigung in die Barriere geflogen und dann fast sofort zur Erde zurückgefallen, während die Satelliten selbst behaupteten, sie seien glatt und reibungslos in ihre vorgesehene Umlaufbahn gelangt, dort den geplanten Zeitraum über verblieben und mittels eigenem Antrieb Wochen oder Monate später wieder zurückgekehrt. (Wie bei dem russischen Kosmonauten, dachte ich, dessen offiziell nie bestätigte oder dementierte Geschichte zu einer Art modernen Sage geworden war.) Und wenn man annahm, dass beide Datensätze zutreffend waren, dann gab es nur eine Erklärung: Außerhalb der Barriere herrschte eine andere Zeit.
Oder, von einem anderen Blickwinkel aus gesehen: Auf der Erde verging die Zeit langsamer als im übrigen Universum.
»Versteht ihr, was das bedeutet?«, fragte Jason. »Vorher sah es so aus, als steckten wir in einer Art elektromagnetischem Käfig, der die zur Erde gelangende Energie regulierte. Und das trifft auch zu. Aber es ist im Grunde nur ein Nebeneffekt, ein kleiner Ausschnitt eines sehr viel größeren Bildes.«
»Nebeneffekt wovon?«, fragte ich.
»Von dem, was man als Zeitgradient bezeichnet. Versteht ihr? Für jede Sekunde, die auf der Erde vergeht, vergeht außerhalb der Barriere sehr viel mehr Zeit.«
»Das ergibt doch keinen Sinn. Was soll das für eine Physik sein, die da am Wirken ist?«
»Leute, die erheblich mehr Erfahrung haben als ich, plagen sich momentan mit dieser Frage ab. Aber die Vorstellung eines Zeitgradienten hat etwas für sich. Wenn es ein zeitliches Gefälle zwischen uns und dem Universum gibt, dann würde die zu einem bestimmten Zeitpunkt an die Erdoberfläche gelangende Umgebungsstrahlung – Sonnenlicht, Röntgenstrahlen, kosmische Strahlung – proportional beschleunigt werden. Und die Sonnenstrahlen eines Jahres, auf zehn Sekunden kondensiert, wären unmittelbar tödlich. Die
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