Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)
Die Tür stand jetzt offen und gab den Blick auf eine schmale Beton-Wendeltreppe frei, die nach oben führte. Paul tastete sich langsam, Stufe um Stufe, nach oben.
Als er das Ende der Treppe erreicht hatte, stand er vor einer grauen Stahltür, die der unteren bis in die Einzelheiten glich. Die Tür war nicht ganz geschlossen, sodass er durch einen schmalen Spalt in den Flur sehen konnte, der dahinter in einem fahlen Dämmerlicht lag. Der Flur war vollkommen verlassen. Bis auf das leise Brummen eines elektrischen Aggregats herrschte völlige Stille.
Paul öffnete die Tür und trat vorsichtig in den Flur hinaus. Er befand sich allem Anschein nach im Erdgeschoss des Gebäudes, das vollkommen verlassen schien.
Unmittelbar gegenüber lag der Haupteingang, der zum Kasernenhof hinausführte. Eine Zimmertür schräg gegenüber gleich neben dem Haupteingang stand halb offen. Durch die Öffnung fiel ein breiter Lichtstrahl in den Gang. Paul wechselte schnell auf die andere Seite des Gangs hinüber und tastete sich langsam an der Wand entlang auf die Tür zu. Als er die Tür erreicht hatte, brachte er seine Waffe in Anschlag und stieß die Tür mit einem entschlossenen Fußtritt auf, bereit sofort den Abzug zu betätigen, wenn es erforderlich sein sollte. Aber es war nicht nötig. Der Raum war vollständig verlassen. Ein offener Waffenschrank neben der Tür zeigte Paul, dass es wahrscheinlich dieser Raum gewesen war, von dem das Wachpersonal aufgebrochen war, um nachzusehen, was unten im Gefängnistrakt geschehen war.
Eine Verbindungstür zu einem angrenzenden Nebenraum stand offen. Der Raum lag im Dunkeln und war weitgehend leer. Im Schutz der Dunkelheit trat Paul ans Fenster und warf einen Blick in den Hof hinaus.
Am Kasernentor stand ein einsamer Wachtposten. Paul überlegte. Er fragte sich, ob der Wachtposten die Schüsse gehört hatte oder nicht. Die Wahrscheinlichkeit lag bei 50:50. Aber egal, er konnte ihn auf keinen Fall dort stehen lassen. Das war zu riskant. Außerdem mussten sie auf ihrem Weg aus der Kaserne an ihm vorbei. Es widerstrebte ihm, noch einen weiteren Menschen zu töten, aber vielleicht gab es ja eine andere Möglichkeit. Er musste den Wachtposten irgendwie ins Gebäude locken, damit er ihn überwältigen konnte, ohne ihn zu töten.
Er sah sich in der Wachstation um. Auf dem Tisch lag ein Walkie-Talkie. Wenn er es schaffte, den Wachtposten über das Walkie-Talkie zu erreichen, hatte er gewonnen. Dazu musste er als erstes herausfinden, wie der Söldner hieß, der da draußen Wache schob. Er suchte nach einem Dienstplan. Es musste so etwas geben. Einen Dienstplan gab es in einer Kaserne immer. Und tatsächlich, über dem Schreibtisch hing ein Kalender mit der Einteilung für die Nachtwache. Er suchte das aktuelle Datum. »Steve Miller« stand dort ab 22 Uhr als Nachtwache eingetragen. Paul griff sich das Walkie-Talkie und drückte die Push to Talk-Taste. »Steve!? Would you please come in for a moment? We need your help! Roger.«
Es knackte und rauschte im Walkie-Talkie, aber sonst blieb das Gerät stumm. Paul sah aus dem Fenster. Der Wachtposten fummelte sein Walkie-Talkie vom Gürtel und führte es zum Kinn. Paul hatte also doch einen Treffer gelandet. Eine Sekunde später hörte er die Stimme von Steve im Walkie-Talkie. »Miller. Okay, just a minute! Roger.« Paul bestätigte: »Thank you, Steve! Roger.« Dann verließ er eilig den Wachraum und postierte sich direkt neben dem Haupteingang. Eng an die Wand gepresst, die Waffe in beiden Fäusten, wartete er atemlos.
Miller war anscheinend eine gutgläubige Seele. Einen Rap-Song vor sich hinmurmelnd kam er zur Tür herein geschlendert und ging, ohne sich umzusehen, in Richtung Wachstation. Pauls Gewehrkolben erwischte ihn völlig überraschend mit voller Wucht im Genick. Ohne einen weiteren Laut von sich zu geben, brach der Söldner zusammen und schlug ungebremst mit dem Schädel auf dem Boden auf. Paul bückte sich und checkte, ob er noch lebte. Das Genick war anscheinend nicht gebrochen. Paul konnte noch einen Puls am Hals des Söldners tasten und war erleichtert. Er packte ihn an den Beinen und schleppte ihn in die Wachstation. Dort fesselte er ihn mit einem Verlängerungskabel an einen Stuhl und knebelte ihn mit Klebeband und einem Stück Plastikfolie, das er in einer Schreibtischschublade fand.
Langsam fühlte Paul sich sicherer. Er wartete noch zehn Minuten im Flur und lauschte. Dann stieg er die Wendeltreppe zum Untergeschoss hinab und
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