Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)
münden. Im Keller, irgendwo auf einem Lüftungsturm, auf dem Dach. Irgendwo muss der Luftaustausch stattfinden.«
»Und? Du glaubst dass diese Lüftungsschächte nicht alarmgesichert sind?«
»Vielleicht. Wahrscheinlich aber nicht! Nehmen wir an, sie befinden sich auf dem Dach. Wer würde ernsthaft in Erwägung ziehen, dass es ein Einbrecher in den 18. Stock schafft, um dort über einen Lüftungsschacht einzusteigen? Wie sollte das gehen, ohne Hubschrauber?«
»Und wie sollen wir da rauf kommen? Soll ich die Fassade hinauf laufen?«, Paul ahnte schon worauf Sarah hinaus wollte.
»Genau, du könntest versuchen, da hinauf zu klettern.«
»Ich könnte versuchen, da hinauf zu klettern? Eine glatte Fassade?«
»Warum nicht? Es gibt da diesen Franzosen, Alain Robert, oder wie er heißt. Ich habe gesehen, dass der das macht.«
»Man braucht dazu jede Menge Training. Der Typ hat das jahrelang trainiert, Sarah, deswegen kann er das! Dass ich da hinauf komme, ist eher unwahrscheinlich. Und außerdem, was machen wir, wenn es da oben gar keinen Lüftungsschacht gibt? Dann war die ganze Mühe umsonst.«
»Google, wir checken das auf Google Earth. Das dauert keine fünf Minuten.«
»Okay, versuchen wir es. Ich kenn ein Internet Café hier in der Nähe, das rund um die Uhr auf hat. Und wenn es auf dem Dach eine Möglichkeit gibt, hineinzukommen, dann schauen wir uns mal an, ob die Fassade wirklich so glatt ist, wie sie auf den ersten Blick aussieht. Vielleicht gibt es ja doch eine Möglichkeit, da hinauf zu klettern.«
* * *
Er startete seinen Computer und überprüfte noch einmal das Setup, das er für seinen »Parteitagsauftritt« geschaffen hatte. Mit Hilfe eines GPS-Tools checkte er, ob die Waffen, die er vor zwei Tagen bei einer Ortsbesichtigung im Velodrom deponiert hatte, noch an ihrem Platz waren. Zu diesem Zweck hatte er jede Waffe mit einem Peilsender ausgestattet, der es ihm jetzt erlaubte, ihre Position zentimetergenau zu bestimmen. Die Waffen waren noch exakt auf Position und warteten auf ihren Einsatz. Und auch das Fahrrad für seinen Rückzug war noch da, wo er es abgestellt hatte.
Schließlich hörte er sich noch die gefakten Funksprüche an, die er in den Funkverkehr der Agenten einschleusen würde, und testete das kleine Computerprogramm auf seinem PDA, das er für das automatische Absetzen der Funksprüche geschrieben hatte. Alles funktionierte perfekt.
Er liebte es, wenn Dinge präzise funktionierten, egal ob es sich um Waffen handelte oder um eine Strategie beim Schach. Und das Setup, das er für diesen Coup geschaffen hatte, erfüllte ihn sogar ein wenig mit Stolz.
Im Bad lag alles für die Maske bereit. Er würde sich die Haare färben und die Konturen seiner Augenbrauen manipulieren. Und ein bisschen Filmschminke würde seinen dunklen Teint aufhellen. Das machte ihn zwar nicht vollkommen unkenntlich, aber es würde ausreichen, um unbehelligt in der Masse der Parteitagsbesucher unterzugehen.
Der Leihwagen für den Weg zum Objekt war bestellt und würde ihm ins Hotel gebracht werden. Damit waren alle Vorbereitungen abgeschlossen. Es war 18 Uhr. Noch ungefähr 20 Stunden Zeit. Er beschloss, sich für das Abendessen umzuziehen. Heute würde er sich einen besonders leckeren Fisch und den besten italienischen Wein auf der Karte gönnen. Denn morgen war nur ein spartanisches Frühstück angesagt. Er musste fit sein für den Tanz und dazu gehörte für ihn ein leerer Magen.
Als er das Hotelrestaurant betrat, war er einer der ersten Gäste. Er setzte sich an einen abseits gelegenen Tisch und genoss den perfekten Service. Wie üblich startete er mit einem Cappuccino und studierte dabei die Speisekarte. Am Ende entschied er sich für ein Sechs-Gänge-Menü mit Seewolf und orderte dazu ganz stillos eine toskanischen Rotwein.
Als er das Glas hob und den ersten Schluck Wein auf der Zunge schmeckte, überkam ihn ein Hochgefühl. Er erinnerte sich an eine Zeile aus einem Bob Dylan Song: ,Dear landlord, don’t put a price on my soul, my burden is heavy, but my dreams are beyond control…’ Weiter wusste er nicht, aber diese Zeile schien ihm zu dem Gefühl der Freiheit zu passen, das er fühlte, wenn er an die Zukunft dachte. Niemand würde ihn besitzen, niemand würde seine Träume kontrollieren. Er würde dafür töten, das hatte er zu tragen. Und er würde dafür auch einen Freund töten müssen. Ole, er würde Ole töten müssen. Denn dieser verdammte Idiot war eingeteilt, den Lieferantentrakt zu
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