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Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Titel: Spines - Das ausradierte Ich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Scherm
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für ihn, zweifelsfrei zu entscheiden, welches der richtige war. Deshalb entschloss er sich, gleich in den Schacht einzusteigen, den er geöffnet hatte. Um sich einen Rückweg offen zu halten, befestigte er das Seil an einer Stahlstrebe neben dem Lüftungsturm. Das andere Ende verknotete er an seinem Klettergurt. Dann stieg er in den Schacht ein und ließ sich nach unten gleiten. Dabei hielt er sich an zwei Führungsstreben fest, die über die ganze Länge des Schachts führten. Nach ein paar Metern erreichte er eine Abzweigung, von der ein engerer Schacht horizontal wegführte. Wahrscheinlich der Lüftungsschacht für einen Gang des obersten Stockwerks. Er stieg weiter nach unten, bis er die Abzweigung ins zwölfte Stockwerk erreicht hatte. Jetzt musste er sich aus dem Seil binden und den Klettergurt abnehmen, denn der abzweigende Schacht war wesentlich enger als der Hauptschacht. Er war gerade breit genug, um mit dem Kopf voran auf dem Bauch liegend hindurch zu robben.
    Zentimeter um Zentimeter arbeitete er sich voran. Nach ein paar Metern wurde seine Technik besser und er kam etwas schneller voran. Trotzdem war es immer noch verdammt mühsam. Er brauchte viel länger, als er gedacht hatte. Und mit jeder Minute, die er sich im Gebäude aufhielt, wuchs das Risiko, dass man ihn entdeckte, denn das Gebäude wurde permanent überwacht und war voller versteckter Bewegungsmelder und Lichtschranken. Er kannte zwar die Standorte einiger der Kameras von seinen bisherigen Besuchen im Forschungslabor und hoffte, so die meisten Kameras umgehen zu können. Aber je schneller er wieder draußen war, desto besser.
    Nach etwa einer halben Stunde öffnete er ein Abluftgitter, um sich zu orientieren. Er war tatsächlich in der zwölften Etage und im richtigen Gang. Auf keinen Fall durfte er jetzt aus dem Lüftungsschacht aussteigen, denn die Gänge waren lückenlos videoüberwacht. Er musste sich im Schacht bis ins Labor von Robert vorarbeiten. Erst dort konnte er ohne Gefahr aus dem Lüftungssystem aussteigen. Denn soweit er wusste, waren die Einzellabors im Gegensatz zu den Großraumlabors von der Videoüberwachung ausgenommen.
    Nach weiteren schweißtreibenden zwanzig Minuten hatte er die Abzweigung zu Roberts Labor gefunden. Jetzt musste er nur noch das Glück haben, dass der Rechner online war. Die Chancen dafür standen aber gut, denn viele der Computer blieben über Nacht online, um Daten zu übertragen oder herunterzuladen. Seine Anspannung stieg fast ins Unerträgliche, als er das Abluftgitter in Roberts Labor öffnete und aus dem Lüftungssystem ausstieg. Und als er seine Hand nach der Maus auf Roberts Schreibtisch ausstreckte, zitterten seine Finger.
    Er hatte Glück, der Rechner war tatsächlich online. Im Hintergrund wurde wie bei seinem letzten Besuch ein Rendering-Prozess ausgeführt. Paul suchte nach dem Film, den er sich angeschaut hatte, bevor sie von Robert Nielsen und den Sicherheitsleuten überrascht worden waren. Nach einigen Klicks hatte er den Film wieder auf dem Bildschirm. Er wählte die Vergrößerungslupe aus und klickte auf den Start-Button. Die Zoom-Funktion, die ihm über die Lupe zur Verfügung stand, war gigantisch. Der Zoom-In lieferte eine überwältigende Detailtiefe. Kein Verfahren, das Paul bekannt war, lieferte derart extrem hochauflösende Bilder. Bei allen mikroskopischen Verfahren mit denen er bisher gearbeitet hatte, wurde die Auflösung von Zoom-Stufe zu Zoom-Stufe immer geringer, die Konturen verschwanden, bis man schließlich nur noch die Umrisse der Strukturen erahnen konnte. Wenn er jedoch bei diesem Film in die Tiefe zoomte, konnte er jede einzelne Zelle in ihren Bestandteilen gestochen scharf darstellen. Jedes einzelne Molekül war vollkommen deutlich zu erkennen. Und damit war der Zoom bei weitem noch nicht an seinem Ende angelangt. Die Darstellung reichte bis auf die Ebene der kleinsten Elementarteilchen. Und was noch unfassbarer war, es schien sich um eine in vitro Aufnahme am lebenden Gehirn zu handeln. Wie war das möglich? Hatte er wirklich eine mikroskopische in vitro Aufnahme vor sich oder war das Ganze eine Computersimulation, eine 3-D Grafikreise durch ein imaginäres Gehirn? Aber welcher Animationsdesigner wäre in der Lage gewesen, eine derart komplexe Simulation zu generieren? Welche Software war so mächtig? Und wenn der Film tatsächlich eine Reise mit Hilfe eines bildgebenden Verfahrens durch ein wirklich existierendes Gehirn zeigte, wie war er erzeugt worden? Welches

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