Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)
Garagentore.
Sie ging eine Etage höher. Das gleiche Bild. Auch in der dritten und vierten Etage waren alle ehemaligen Stellplätze in Einzelgaragen verwandelt.
Sie machte sich wieder auf den Weg nach unten. Als sie die Rampe zur zweiten Ebene hinunterging, kam ihr ein Mann mit einem dicken Schnauzbart entgegen. Er trug eine dunkelblaue Arbeitshose und hatte einen Plastikbeutel mit der Aufschrift »BAUHAUS, Alles unter einem Dach für den Heimwerker« bei sich. Als sie ihn grüßte, blickte er kaum auf, murmelte nur etwas wie »Tag« und ging ohne anzuhalten weiter. Sie sah ihm nach wie er auf der dritten Ebene verschwand und ging ein Stück zurück, damit sie sehen konnte, was er machte. An der dritten Garagentür auf der linken Seite blieb er stehen und beugte sich nach unten, um das Schloss zu öffnen. Als die Tür aufschwang, konnte sie einen Blick in die Garage werfen. Sie war an den Seiten von oben bis unten vollgestellt mit alten Elektrogeräten und Werkzeugen. Davor konnte sie das Vorderrad eines Motorrads ausmachen. Auf dem Boden stand etwas, das wie ein Heizlüfter aussah, und daneben lagen ein paar Schraubenschlüssel. Als sie noch ein paar Meter weiter in die Etage hineingehen wollte, damit sie besser sehen konnte, wurde das Garagentor wieder geschlossen und sie hörte, wie der Riegel von innen vorgeschoben wurde. »Könnte eine Werkstatt sein. Wahrscheinlich eine illegale Werkstatt. Betrieben von einem Hartz IV-ler, wie es oft in den Zeitungen zu lesen war«, dachte sie und ging langsam zum Kabuff zurück, um anzurufen.
Gleich nach dem ersten Klingeln meldete sich eine helle Männerstimme: »Hahning, Immobilien-Service«. Sie erklärte kurz, worum es ging. »Kein Problem, wenn Sie sich zehn Minuten gedulden, bin ich da«, war die für Berliner Verhältnisse erstaunlich freundliche Antwort. Um die Zeit tot zu schlagen, warf sie noch einen Blick in die Treppenaufgänge. Graffiti überall, meist einfache Tags ohne Talent hingeschmiert. Das Geländer übersäht mit Rostnarben. Erstaunlicherweise gab es sogar einen Lift, außer Betrieb und verschlossen.
Hahning kam mit einem blauen Pritschenwagen über das Kopfsteinpflaster angeholpert. Das Scheppern der verrosteten Blattfedern war kilometerweit hörbar. Er kam nicht allein. Absolut gleichzeitig mit ihm stieg ein etwa 25 Jahre jüngerer Mann aus dem Wagen. Die beiden bewegten sich fast synchron auf den Eingang des Parkhauses zu. »Könnten Vater und Sohn sein«, dachte Sarah, während sie ihnen entgegen ging, um sie zu begrüßen.
»Hahning.« Der Ältere streckte ihr noch im Gehen die Hand zum Gruß hin. »Wir haben telefoniert.« Der Jüngere gab ihr wortlos ebenfalls die Hand. Vom Ansatz der Bewegung her vollkommen identisch. Ohne einen wirklichen Stopp ging Hahning weiter zum Kabuff, schloss die Tür auf und forderte sie auf einzutreten.
»Kann ich mal die Rechung sehen?«, fragte er, während er nebenbei das Licht einschaltete. Sarah gab ihm die zusammengefaltete Rechung.
»Dann wollen wir mal sehen«, sagte Hahning mehr zu sich selbst, warf einen kurzen Blick auf die Rechnung und suchte dann das Raster auf der Tafel ab. »Hier, die Drei-Sechzehn und die Drei-Achtzehn. Ihr Vater hat zwei Stellplätze nebeneinander gemietet!« Er tippte kraftvoll mit dem Finger auf zwei nebeneinander liegende Kästchen des Rasters. »Aber kein Schlüssel. Aber vielleicht haben wir ja Glück.« Er ging zum Schreibtisch und öffnete die Schublade. »Für manche Garagen haben wir Ersatzschlüssel – für die meisten, aber nicht für alle.« Er wühlte in einem Berg von Schlüsseln. »Wissen Sie, manche unserer Mieter haben es nicht gern, wenn wir einen Zweitschlüssel hier haben.« Er streifte Sarah mit einem flüchtigen Blick. »Einige haben es nicht gern, wenn man sich in ihre Angelegenheiten einmischt. Aber wir fragen hier nicht nach, wir sind froh, wenn wir die Garagen vermieten können. Das ist gar nicht so einfach heute. Wir haben die Hälfte Leerstand.« Hahning wandte sich wieder dem Schreibtisch zu und durchsuchte eine weitere Schublade.
Wenn Hahning sprach, machte sein Mund alle paar Sekunden eine unkontrollierte Bewegung. Die rechte Oberlippe zog sich krampfhaft nach oben. Sarah war dieser Umstand gleich bei der Begrüßung aufgefallen, aber erst jetzt war sie sich sicher, dass es sich um eine Macke handelte, irgendeine Nervenschädigung wahrscheinlich. Hahning fühlte sich deswegen unsicher. Das war der Grund, warum er fast immer in Bewegung war und es
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