Spinnefeind
hat.«
Anja wechselte die Richtung und schwamm stromaufwärts.
»Du bist Hannes’ Freundin«, wagte Katinka sich vor. Anja begann zu kraulen. Katinka ließ ihr einen Vorsprung, dann holte sie auf und berührte Anja an der Schulter. »Wenn du ihn schützen willst, dann solltest du wenigstens mit der Polizei zusammenarbeiten.«
»Lassen Sie mich doch in Frieden!« Anja drehte um und schwamm zum Bootshaus zurück. Katinka ließ sich langsam zurücktreiben. Als sie aus dem Wasser stieg und zu ihren Sachen ging, lief Anja zum Ausgang.
»Ich habe ein bisschen herumprobiert seit heute Mittag. Hausaufgaben und so was haben wir sowieso nicht mehr auf, und wegen des Mordes an Falk ist die ganze Schule wie … tot.« Valente zu ckte zusammen, als sei seine Wortwahl an allem schuld. »Aber es ist nicht leicht. Der Text ist zu kurz für die Häufigkeitsanalyse.«
Sie saßen wieder am Fluss, hinter sich die Schleuse 100. Valente lehnte nachdrücklich alle Einladungen zu Kaffee oder Cola ab. Katinka war heiß, die Abkühlung von vorhin war Vergangenheit. Die Sonne brannte vom Himmel, und das Wasser vor ihr sah so einladend aus, dass sie am liebsten kopfüber hineingesprungen wäre.
»Sag mal, von Hand wird doch heute kaum noch etwas verschlüsselt, oder?«, fragte Katinka.
»Natürlich nicht. Da sitzt kein Mensch mit Papier und Bleistift herum. Das machen Rechner. Gigantische Programme, von deren Ausmaßen wir Normalmenschen nicht einmal etwas ahnen. Die arbeiten mit vielstelligen Primzahlen und weiß der Geier was noch.«
»Und doch habt ihr in der Schule …«
»Falk wollte uns eben das Prinzip beibringen. Wenn man das verstanden hat, durchschaut man letztlich jede Operation am Rechner. Es geht doch nur darum, ein bestimmtes Muster, zum Beispiel einen Satz oder auch nur ein Wort, durch ein anderes Muster zu ersetzen. Mehr ist das nicht.« Er dachte einen Augenblick nach. »Mathe ist auch nichts anderes. Alle denken, Mathe hat mit Zahlen zu tun, aber das stimmt nicht. Der Mathematiker sucht nach Mustern. Was haben drei Kühe, drei Dreiecke und drei Bananenschalen miteinander gemeinsam? Die Anzahl drei.«
»Warum ist dein Vater so streng mit dir?«, fragte Katinka. Das Mathethema behagte ihr nicht. Es war ihr auch egal, womit Mathematik zu tun hatte. Sie wollte in ihrem Fall weiterkommen.
Valente hob die Schultern.
»Er hat eben seine eigenen Ansichten über das Leben. In einem Monat werde ich 18. Dann kann er mich mal. Ich ziehe mit einem Kumpel zusammen.«
Katinka fragte ihn nicht, woher er das Geld nehmen wollte. Jugendliche waren machtlos und abhängig. So hatte sie sich manches Mal gefühlt, und die Erinnerung daran war nicht angenehm.
»Mein Vater ist erzkonservativ und katholisch und so«, erklärte Valente. »Ich kann bei ihm nicht punkten, denn mir sagt das alles nichts. Aber er hängt in was weiß ich welchen Klubs rum. Findet das ganz toll, die Loyalität und wie die Leute zusammenhalten. Nur Männer natürlich.«
»Was für Klubs denn?«
Valente verzog das Gesicht.
»Weiß nicht.«
»Was macht deine Mutter?«
»Sauna und so. Mit Freundinnen.«
Katinka beschloss, nicht weiter in ihn zu dringen.
»Seit wann sind Hannes und Anja zusammen?«
»Seit …« Er brach ab.
Das genügte Katinka. Sie verstand, dass Valente weder über Hannes noch über Anja ein Wort verlieren würde. Sie waren seine besten Freunde, die er bei seinem lieblosen Umfeld dringend nötig hatte. Falls er scharf auf Anja war, dann unterdrückte er seine Sehnsüchte vielleicht sogar zugunsten von Hannes. Die drei hatten Hannes’ Verschwinden geplant, und Valente stand genauso wie Anja mit ihm in Verbindung.
»Du willst nicht verraten, wo er sich versteckt«, sagte Katinka. »Das sehe ich ein. Ihr habt Angst um Hannes. Ihr seid Verschlüsselungskünstler und findet bestimmt eure Wege, miteinander zu kommunizieren. Aber wie geht’s jetzt weiter? Nächstes Jahr ist euer Abitur. Wie lange soll Hannes sich verstecken und wie viel Schule verpassen?«
Meine Güte, ich rede wie Großtante Gewissen, dachte sie.
Valente rührte sich nicht. Nur seine Kiefer mahlten. Druck erhöhen, dachte Katinka. Legen wir noch einen drauf.
»Hannes ist gut in der Schule. Ihr seid alle gut, aber Hannes lernt am leichtesten. Ihr braucht ihn hin und wieder, damit er euch weiterhilft. Mit Mathe und so.«
Valente steckte sich eine Zigarette an. Seine Hände flatterten.
»Du willst nicht darüber reden, wie es zu seiner Flucht kam. Dann rede über die
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