Spinnefeind
und spähte angespannt in die Nacht.
Sie schwiegen. M inuten später glitt ein Mensch in Regenjacke aus dem Schatten der Kirche.
»Ist er das?«, flüsterte Hardo.
»Ja!« Katinka wollte die Tür öffnen, aber Hardo war schneller.
»Steig hinten ein«, zischte er und sprang auf die Straße. »Valentin Kazulé?«
Während Katinka auf die Rückbank kroch, sah sie Valente näher kommen. Seine Locken hingen nass um sein Gesicht. Er wirkte räudig wie ein Straßenköter.
»Und wer sind Sie?«
Hardo zeigte seinen Dienstausweis.
»Steigen Sie ein. Keine Angst, es geht nur darum, dass wir nicht durchweichen.«
Valente öffnete die Beifahrertür und ließ sich auf den Sitz fallen.
»Hallo, Valente!«
Er zuckte zusammen, drehte sich aber nicht zu Katinka um.
»Also, was haben Sie uns zu sagen?«
»Dürfen Sie das eigentlich?«, fragte Valente.
»Sie sind freiwillig gekommen«, erklärte Hardo freundlich. »Niemand hat Sie gezwungen. Sie könnten friedlich im Bett liegen und träumen.«
Valente zerrte eine Plastiktüte unter der Regenjacke hervor.
»Hier sind die Postkarten drin. Ich habe nur ein Semagramm entdeckt. Den Namen Oswald.«
»Oswald?«, fragte Katinka, während sie die Karte in die Hand nahm und mit ihrer Taschenlampe ableuchtete. Sie hatte auf einen Ortsnamen getippt.
»Das ist ein Ortsname«, sagte Hardo, als habe er ihre Gedanken gelesen. »Hinten liegt ein Autoatlas. Schau rein.« Er ließ den Motor an. »Wir machen eine Spazierfahrt. Wenn Sie nicht möchten, können Sie nach Hause gehen, Valentin.«
»Nein, fahren Sie lieber ein Stück, hier guckt ständig einer aus dem Fenster«, murmelte Valente. »Sogar nachts.«
»Ich hab’s!«, rief Katinka. »Es gibt einen Ort im Bayerischen Wald namens Sankt Oswald, direkt am Nationalpark. Ziemlich südlich.«
Hardo steuerte den Golf aus dem Ort. Eine Weile fuhren sie schweigend, bis er schließlich nach rechts in einen Flurbereinigungsweg einbog. Er hielt und schaltete das Licht aus. Die völlige Dunkelheit hier draußen brachte die drei Menschen in dem Auto einander näher. Sie hörten sich gegenseitig atmen. Spürten ihre Ängste und bohrenden Fragen. Katinka sah auf Hardos mächtigen Rücken. Er sagte keinen Ton. Valente zog die Schultern hoch. Schließlich fragte er:
»Und jetzt?«
»Sagen Sie mir, was Sie denken.«
»Hannes und Anja sind in Sankt Oswald. Sie halten sich versteckt, weil sie Angst haben. Ich weiß nicht, wovor.«
»Haben Sie mit Ihrem Vater gesprochen?«
»Über Hannes? Ich rede mit meinem Vater nur, wenn es nicht anders geht. Ihm traue ich nicht über den Weg.« Valente lachte auf.
Katinka war sich nicht sicher, ob er die Wahrheit sagte. Sie wusste, dass er seinen Vater hasste, aber Hass nahm viele Gesichter an. Es wäre ebenso denkbar, dass Valente dem alten Kazulé gegenüber irgendein Detail erwähnt hatte, das mit Hannes und den Gerüchten über Kaminsky zu tun hatte. Einfach, um seinem Vater eins auszuwischen.
»Erzähle uns deine Version, Valente«, bat sie leise.
Wieder war es still im Wagen. Sie hörten nur das feine Sprühen des Regens.
»Hannes ist der Einzige, der mit Sicherheit sagen kann, was Kaminsky und mein Vater damit zu tun haben«, fing Valente an. »Ich habe meine Eltern neulich streiten hören. Ich glaube, die beiden warten, bis ich aus dem Haus bin, damit sie sich scheiden lassen können.«
Katinka sah Hardos Wangenmuskeln hervortreten.
»Ist Ihr Vater viel unterwegs?«
»Ziemlich oft. Am Wochenende. Hat in München irgendwelche Sachen zu bereden. Beruflich. Nehmen Sie mich jetzt mit nach Sankt Oswald?«
Valentes Blick klebte an Hardos Gesicht, als der Kommissar fragte:
»Sind Sie volljährig?«
»Nächsten Monat werde ich 18.«
»Dann lautet meine Antwort ›nein‹.« Hardo drehte den Zündschlüssel.
Valente griff danach und würgte den Motor ab.
»Moment! Das können Sie nicht machen! Sie haben mich übervorteilt. Ich habe Ihnen vertraut!« Vor Empörung zitterte seine Stimme.
Hardo wandte sich ihm zu.
»Ich will Ihnen etwas sagen, und Sie werden mir zuhören und mich nicht unterbrechen.«
Valente schluckte. Sein Blick hing an Hardo.
»Es geht hier nicht um Sie, Valentin. Es geht um Ihre Freunde, um Hannes und Anja. Um ihre Sicherheit und Unversehrtheit. Sie ahnen, wovor Hannes solche Angst hatte, dass er verschwand, nicht wahr?«
Valente blieb nichts anderes übrig als zu nicken.
»Wir beide«, er zeigte auf sich und Katinka, »möchten nicht noch einen anderen jungen Menschen
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