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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rawi Hage
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frische Luft, um Blaseninfektionen, Paranoia und kartesisches Denken zu vertreiben.
    Ich habe also ein System, das jeder Methode der Katalogisierung, die je erfunden oder auch nur angedacht wurde, zuwiderläuft. Wie der blinde Argentinier gesagt hat: Die ganze Welt, enthalten in einer Bibliothek. Es bleibt ein großes Geheimnis, das ich niemandem anvertraue außer einigen wahren Literaturliebhabern, Menschen wie Mary.
    Ich habe Mary unter Umständen kennengelernt, die überaus peinlich waren. Mary, süße, unschuldige Mary, Marrrrrry, meine Mary … sie fuhr mit ihrem Mann in meinem Taxi.
    Ich war im Universitätsviertel unterwegs, wo die jungen Studentinnen Kaugummi kauen und Taxis heranwinken, um in die Clubs zu fahren. Donnerstags, spät am Abend, kommen sie angetrippelt in engen Miniröcken, sie quetschen sich auf die Sitzbank, teilen sich ein Päckchen Kaugummi und zwitschern alle durcheinander. Mit ihrem Lippenrot, mit ihren tropisch wuchernden Haartürmen versperren sie mir die Sicht durch den Rückspiegel. An roten Ampeln stellen sie kurzzeitig den Tiefsinn ein und überprüfen in den Schaufenstern der Einkaufsstraßen die verführerischsten Posen. Die Anführerin steigt meistens vorn ein, sie lümmelt sich im Beifahrersitz, nennt mich Mr Taxi und fragt mich über mein vertanes Leben aus, sie lacht über die Clownsfiguren, die mein Armaturenbrett bevölkern wie betrunkene Zinnsoldaten mit bunten Hüten. Ich kämpfe mich durch die belebteste Straße der Stadt, und ihre ärgerlich platzenden Kaugummiblasen, das Gekicher des Chors auf der Rückbank beschämen mich zutiefst, du steckst fest auf der Lenaia Street, Sophokles!, ruft der Chor, du steckst fest mit diesen unverschämten kleinen Schimpansenweibchen, deren Münder Kaugummiblasen in der Form apokalyptischer Atomwolken gebären.
    Ich stecke im Stau und träume davon, mit meinem Wagen in einer titanisch großen Blase aufzusteigen und über die Straße und die laute Musik hinwegzuschweben, entlang einer Parade von männlichen Teenagern, die ihre Arme aus Autofenstern hängen lassen wie Käfigtiere und mit bedrohlich lustvollen Blicken lange Waden betasten, die in hochhackigen Schuhen enden.
    Mary hatte sehr hübsche Beine, sie trug eine dicke Brille, und als ihr Mann sich neben sie auf die Rückbank meines Taxis drängte, weinte sie. Als Erstes fragte ich sie, ob alles in Ordnung sei. Madam? Ihr Mann sah mich im Spiegel an und sagte: Ja, alles in Ordnung. Fahren Sie einfach los.
    Wohin?, fragte ich.
    Erst einmal auf den Highway 18, dann sage ich Ihnen, wie es weitergeht.
    Wenn in meinem Boot eine Frau Tränen vergießt, verwandle ich mich zuerst in ein trauriges Baby und dann in einen Seebären, einen weitgereisten, vor nichts zurückschreckenden Piraten. Bekanntlich sind die unteren Decks immer gut gefüllt mit Sklaven und gefangenen Frauen, wenn die großen Frachtensegler in See stechen. Und so hörte ich, wie in meinem Rücken die Peitschenhiebe auf Mary niedersausten.
    Du interessierst dich doch nur für deine Scheißbücher, sagte der Mann. Ich muss aus dem Haus kommen, ich will Leute sehen. Bücher, Bücher, scheiß auf die Bücher. Den ganzen Tag liest du, du machst überhaupt nichts anderes mehr. Und wenn meine Freunde da sind, weißt du nicht, was du sagen sollst. Mit mir sprichst du auch nicht mehr. Du sitzt nur rum, passiv und überheblich. Ich hab genug davon, verstehst du mich?
    Ich warf einen Blick in den Spiegel. Mary weinte. Als der Mann begann, sie anzuschreien und ihr mit Gesten, die nichts Gutes verhießen, zu drohen, fuhr ich an den Straßenrand und blieb stehen. Wir hatten die Innenstadt bereits verlassen, vor uns lagen die Vororte mit endlosen Bungalows und winzigen Vorgärten. Hier also zog ich meinen dicken, gefiederten Knüppel unter dem Sitz hervor, stieg aus und riss die Tür auf, ich packte den Buchverächter am Kragen, zerrte ihn aus dem Wagen und warf ihn auf die Fahrbahn. Mein erhobener Knüppel flatterte im Wind wie ein bedrohlicher Vogel, der warnend kreischte, Stopp, hier geht’s nicht weiter – es ist kein Platz für dich in meiner Arche! Ich sprang ins Auto, zog die Tür zu und raste mit Mary davon. Es regnete bereits seit Tagen, im Rückspiegel sah ich, wie Marys Mann triefend dastand … ein Besiegter. Es gibt Tiere, dachte ich, die hätte man getrost ertrinken lassen können, statt sie vor der Sintflut zu retten.
    Mary, süße Mary, die nicht wusste, wohin. Ich schlug vor, zu meiner Wohnung zu fahren.
    Ich kenne

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