Spinnen füttern
nach vorn, nicht auf Ihr Dach. Sie sind ein lausiger Fahrender, Sie müssen alles bedenken und besprechen und bewegen sich letztendlich immer nur im Kreis. Sie sind genauso arm und elend wie wir Tiere in unseren Käfigen. Sie sind ein Gefangener Ihrer eigenen Perspektive, Sie sehen immer nur durch die eigenen Fenster.
Ich bin unter Narren und Clowns groß geworden, Spaßmacher, lebendige Kanonenkugeln haben mich erzogen, und das waren die traurigsten Geschöpfe, die ich je gesehen habe.
Vergessen Sie nicht sich selbst, sich und die anderen Söhne der Missgebildeten, rief er und zog den Kopf dichter. Wenn Ihr Vater Sie geliebt hätte, wären Sie damals wohl unter all den lachenden Menschen und glücklichen Kindern nicht so traurig gewesen.
Hier, sagte er, als wir ankamen, hier ist Ihr Geld und ein Lutscher, mit dem Sie sich das Maul stopfen sollten. Er zerrte seinen Hals zurück in den Wagen, öffnete die Tür und zappelte zum Haus, wo schon die Kleinen warteten mit Schnurrhaaren und Hundeohren, sie wollten Luftballons aufblasen und lernen, Vögel und Mäuse und kleine Kängurus daraus zu knoten.
Sally
Auf meinem Anrufbeantworter war eine Nachricht von dem Drogenhändler, der Scheißkerl sagte einfach: Also, heute Abend, und legte auf. Es war immer dasselbe.
Um acht stand ich bereit, ich wartete an der üblichen Stelle. Wir fuhren durch die Innenstadt und sahen bei einigen seiner Dealer vorbei, die er mit Handschlag begrüßte oder abklatschte. Dann fuhren wir zu einem Stripteaseclub, geschäftlich, versteht sich. Warte auf mich, sagte er, in einer Stunde bin ich wieder da. Fahr an den Hintereingang, ich sage dem Türsteher, dass du zu mir gehörst. Einfach cool bleiben, ich komme wieder.
Ich wartete und beobachtete die Tänzerinnen, die zur Arbeit kamen. Alle trugen ihre Handtaschen an der Schulter. Sie warteten, bis der Türsteher sie hereinließ. Niemand sprach, niemand grüßte.
Ich kannte einmal eine Tänzerin, sie hieß Sally. Ich holte sie immer donnerstags nach ihrer Schicht ab und brachte sie nach Hause. Sie war klug und gebildet, sie studierte französische Literatur, wir verstanden uns auf Anhieb. Am Anfang sprachen wir nur über Literatur, sie hatte ein Buch auf meinem Armaturenbrett entdeckt, ich glaube, es war Jean Genets Notre-Dame-des-Fleurs . Du bist wohl ein Büchernarr, sagte sie und strahlte mich an.
Ich habe ja nichts gegen Masturbation, sagte sie und blätterte in dem Buch, aber findest du nicht auch, dass Genet es in diesem Buch etwas übertreibt?
Was soll ein freier Geist sonst tun, wenn er hinter enge Mauern gesperrt und überwacht wird?, sagte ich. Was soll man tun, als die Welt aufzurufen, Klage zu führen und unter den Blicken seiner Wächter zu masturbieren? Nur so sprengt man Schlösser und Ketten.
Na ja, egal, ehe man durchdreht, sagte Sally. Das Buch ist ein Meisterwerk, es ist unfassbar lyrisch, aber es ist auch bedrückend, klaustrophobisch. Ich kann mir nicht vorstellen, in einer Zelle zu überleben. Ich würde bestimmt sterben.
Sie fragte mich nach meinen Arbeitszeiten. Ich fahre, wann ich will, sagte ich. Ich habe keine festen Schichten. Wenn ich genug eingenommen habe, um das Benzin und die Taxipacht zu zahlen, und wenn dann noch ein bisschen für mich rausspringt, bin ich zufrieden.
Hast du Hunger?, fragte sie.
Schon, ein bisschen, sagte ich, aber willst du mir nicht erst deine Bücher zeigen? Oder willst du lieber meine sehen?
Deine Sammlung hat es bestimmt in sich, antwortete sie, ich fürchte, das ist mir heute zu viel. Bloß keine Gitter und Stangen mehr, ich habe die ganze Nacht an einer Eisenstange getanzt. Hast du Lust auf Pasta?
Ja, sagte ich. Sie wollte Literaturprofessorin werden, erzählte sie später, sie arbeitete einen Abend in der Woche als Tänzerin und zwei bei einem Eskortservice. Das genügte, um die Studiengebühren zu bezahlen, von Schulden und Krediten hielt sie nichts. Sie war selbstbewusst und hatte einige feste Regeln: Sie ließ sich nicht auf den Mund küssen und nicht im Gesicht oder am Hals berühren. Ihre Kunden mussten vor ihren Augen duschen, auch wenn sie behaupteten, gerade erst geduscht zu haben.
Wir wurden gute Freunde. Jeden Donnerstag wartete ich hinter dem Club auf sie. Manchmal schliefen wir miteinander. Es war Freundschaft, nicht Liebe im romantischen Sinn. Zumindest war das unsere Absprache. Sie erzählte mir immer, was sie erlebt hatte, sie beschrieb ihre Abende mit den Kunden. Einer trug ein Clownskostüm, er
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