Spinnenfalle
dann warf ich ihn um und mich auf ihn drauf und die Küsserei ging noch mal von vorn los. Seine Hände behielt er hübsch auf dem T-Shirt: Botschaft verstanden.
Später holte er was zu trinken und wir fragten uns aus.
Er erzählte von seinem Montagevater, der ständig auf Baustellen rund um die Welt arbeitete, und dass seine Mutter sich hier in Deutschland erst ziemlich unglücklich gefühlt hätte, dass sie jetzt aber als Empfangsdame in einer Gemeinschaftspraxis arbeitete und es ihr seither besser ginge.
»Und wieso heißt du Marlon? Wegen dem ollen Brando? Findet deine Mutter den so gut?«, fragte ich.
Er grinste. »Nein, die nicht. Meine Oma. Der Bruder meiner Mutter war der erste Marlon in der Familie. Der ist dann tödlich verunglückt und da hat meine Mutter mich nach ihm benannt.« Er seufzte. »Ist nicht der einfachste Name, weißt du. Alle vergleichen dich automatisch mit dem Paten.« Er hob die Schultern. »Na ja, gibt Schlimmeres. Und wie verstehst du dich so mit deinen Eltern?«
Ich erzählte ihm von unserer Familie und meinem Ärger mit unserem Au-pair.
»Is ja’n Ding«, sagte er, während er meinen Nacken kraulte. »Und du bist dir sicher, dass sie irgendwas Böses plant? Das bildest du dir nicht bloß ein?«
»Jetzt fang du auch noch damit an«, sagte ich wütend. »Das ist ja das Schlimme: Alle wollen mir einreden, dass ich mir was einbilde und der armen Ljuba Unrecht tue.
Aber ich weiß, dass sie irgendwas im Schilde führt, wirklich! Sie lügt, sie hat Geheimnisse und sie hasst mich!«
»Das ist natürlich unverzeihlich!« Marlon grinste. »Wie könnte man dich bloß hassen!«
Ich sah ihn nachdenklich an.
Das mit dem Umschmeißen würde jetzt nicht mehr klappen, weil ich ihn damit nicht mehr überraschen würde. Also biss ich ihn in den Arm. Nur ganz leicht, aber er quiekte wie ein angestochenes Schwein (obwohl ich noch nie eins gehört habe, aber so würde ich mir das vorstellen) und warf sich lachend auf mich, und schon rollten wir unter der Wucht seines Aufpralls auf den Fußboden. Dort war es zwar nicht so bequem wie auf dem Bett, aber als die Küsserei wieder losging, vergaß ich das sofort.
Als ich um halb sieben gehen musste, warf ich im Flur einen Blick in den Spiegel und bekam einen Riesenschreck.
Ich sah ziemlich verquollen aus. Besonders mein Mund war knallrot und die Lippen irgendwie dicker als sonst.
Ich flitzte in Marlons Bad, ließ mir kaltes Wasser über die Hände laufen und kühlte mein Gesicht. Immer und immer wieder. Dann trocknete ich mich ab und kontrollierte die Wirkung.
Minimal.
Marlon war mir gefolgt und sagte: »Hm. Ich sehe das Problem. Komm mal mit.«
Wir gingen hoch in die Küche und er holte eine Packung Tiefkühlerbsen aus dem Kühlschrank.
»Da, leg die drauf!«
Ich tat, was er sagte, und die nächsten fünf Minuten standen wir in der Küche und kicherten und alberten rum.
Ich hätte nie gedacht, dass Marlon so blödeln könnte - in der Schule hatte er immer ziemlich ernst und erwachsen gewirkt.
Ich wusste noch nicht, welcher Marlon mir besser gefiel: der reife oder der unreife - aber jedenfalls war es mit dem unreifen sehr lustig.
»Jetzt reicht’s«, sagte er und packte den Erbsenbeutel wieder zurück ins Tiefkühlfach.
Ich schaute in den Flurspiegel.
Ein ziemlich blaues Gesicht glotzte mich an. »Das macht nichts«, sagte er. »Bei fünfundzwanzig Grad im Schatten vergeht draußen der Arktis-Look bestimmt ganz schnell.«
Als wir bei seiner Haustür standen, war ich plötzlich ziemlich verlegen.
Wie sollte ich mich verabschieden?
Ich reckte mich und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Als Anzahlung«, sagte ich. »Auf nächstes Mal.«
Er lachte und hielt den Daumen hoch. »Abgemacht. Tschüs, Alexandra.«
Auf dem Heimweg wäre ich vor lauter Glück am liebsten gehopst wie ein Kleinkind.
A-lex-an-dra!
Wie er das gesagt hatte! Mit halb geschlossenen Augen lauschte ich in meiner Erinnerung dem Klang seiner Stimme nach und wäre fast gegen eine Fußgängerampel gerannt.
»Augen aufmachen, Fräuleinchen«, sagte ein alter Mann und lächelte.
Ich lächelte zurück und versuchte, mich in meinem Überschwang zu bremsen.
Sie durften zu Hause nicht merken, was mit mir los war.
Ich wollte nicht, dass meine Eltern oder meine Geschwister mitkriegten, was mit mir heute Nachmittag passiert war.
Und Ljuba schon gar nicht.
Die ging das einen feuchten Kehricht an.
Aber ich hätte mir deshalb gar nicht so viele Gedanken machen müssen. Meine
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