Spinnenfalle
Eltern waren zu einer Party eingeladen und Ljubas Kurs feierte heute auch irgendwas.
Ich saß also mit Daniel und den Minis beim Abendbrot und hörte dem Geplapper der Zwillinge zu, die mit ihren Freundinnen heute Nachmittag ein Riesenpuppenfest im Garten gefeiert hatten.
»Ich geh gleich noch mal weg, ich treff mich mit meinen Werder -Kumpels«, sagte Daniel. »Heute spielt Bremen gegen den HSV, das wollen wir uns in der Kneipe ansehen. Machst du die Küche allein?«
Ich nickte. »Klar. Und die Minis bring ich auch ins Bett!«
»ALEX!« Zwei empörte Schreie aus zwei Kehlen.
»Das können wir längst allein«, sagte Kathi von oben herab, obwohl sie zu mir hochsehen musste.
»Aber du darfst uns eine Geschichte vorlesen«, teilte Kris mir großzügig mit.
Daniel verschwand, ich räumte die Küche auf und las den Zwillingen die Geschichte vom Biest des Monsieur Racine vor. Das machte mir auch Spaß, denn ich fand das Buch selber immer noch toll.
Dann gab ich jeder ein Küsschen und stieg in meine Kemenate im Souterrain runter.
Ich hätte fernsehen oder die Bar plündern, endlos mit meinen Freundinnen telefonieren oder was weiß ich tun können, aber stattdessen ging ich direkt ins Bett und lag in dem sommerabendlichen Dämmerlicht und erlebte den heutigen Nachmittag noch einmal.
Das Kribbeln.
Die Aufregung.
Die Spannung.
Die atemlose Freude.
Das Glück.
Obwohl ich es noch lange, unendlich lange auskosten wollte, obwohl ich vor meinem inneren Auge Marlon sah und dann wieder berühmte Liebespaare von der Leinwand wie Clark Gable und Vivien Leigh oder Lauren Bacall und Humphrey Bogart, muss ich dann aber ratzfatz eingeschlafen sein.
12
E s war in den Tagen nach dem Beginn meiner - tja, wie sollte ich es nennen? Freundschaft? Verliebtheit? Beziehung? - mit Marlon, als ich durch den rosaroten Nebel meiner Gefühle für Marlon eine Veränderung in Ljubas Verhalten bemerkte.
Zuerst dachte ich, ich hätte mich geirrt, dass es vielleicht daran lag, dass ich momentan so glücklich war. Aber dann mehrten sich die Anzeichen, und ich stellte staunend fest, dass ich es mir nicht eingebildet hatte.
Ljuba war auf einmal nett zu mir.
Das, was ich mir damals bei ihrem Einzug so gewünscht hätte: eine Art große Schwester zum Klönen, Tratschen, Kichern und Kosmetik-Ausprobieren, das war plötzlich kein Problem mehr.
Früher hatte sie mich bei meinen zaghaften Versuchen, mit ihr ins Gespräch zu kommen, eiskalt abblitzen lassen, und jetzt suchte sie auf einmal meine Gesellschaft.
»Wie findest du Pulli?«, fragte sie mich zum Beispiel, als sie von einem Einkaufsbummel heimkam, und drehte sich vor mir um die eigene Achse. »Ist hübsch, ja?«
Ich sah sie total überrascht an.
»Doch, ist hübsch«, sagte ich dann und wunderte mich über ihr verändertes Verhalten.
Es war wirklich ein hübscher Pulli in einem Kupferrot, das gut zu ihren dunklen Haaren passte.
»Kannst du mir Nagellack leihen?«, fragte sie dann. »Hab ich gesehen im Bad, hast du einen genau in Farbe wie mein Pulli.«
Ich glotzte sie verdattert an.
Hallo-o? Was war denn plötzlich mit ihr los?
»Klar, kannst du nehmen«, sagte ich.
»Oh, danke, danke, soooo nett von dir!«, tönte sie und tänzelte die Treppe runter.
Völlig perplex starrte ich ihr nach. Ich raffte es nicht.
Am nächsten Abend gurrte sie vor der versammelten Familie: »Alex sooo nett, hat mir gegeben Nagellack.«
»He«, sagte ich. »Bloß geliehen. Nicht geschenkt.«
»Na klar.« Sie lachte. »Hab ich doch gemeint.«
Ich sah, wie Mama und Papa sich Blicke zuwarfen. Wahrscheinlich glaubten sie, die Eiszeit zwischen ihrem Au-pair und ihrer Tochter wäre jetzt zu Ende.
Aber ich traute dem Frieden nicht. Obwohl ich zugeben muss, dass Ljuba sich sehr ins Zeug legte.
»Kann ich machen«, bot sie mir am Sonntag nach dem Mittagessen an, als ich abräumen wollte. »Hab ich nix anderes vor. Du vielleicht?« Dabei sah sie mich unter gesenkten Wimpern an und grinste, als ob sie was Wichtiges wüsste.
Ich war total überrumpelt.
WAS wusste sie?
Ich hatte zu Hause noch nichts von Marlon und mir erzählt, außer dass ich mit ihm regelmäßig Deutschaufgaben machte, so wie ich mit Laura und Martha Mathe übte.
Also war der Grund für unsere Treffen die Schule, sonst nichts. Sie hatten ihn ja neulich kennengelernt und gemerkt, dass nichts zwischen uns lief. Damals jedenfalls noch nicht.
Wieso hatte Ljuba diese Andeutung gemacht? Oder war es gar keine? Hatte sie bloß einen
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