Spinnenfalle
später Marlon wieder bei Koopmanns am Esstisch saß und mit uns Pellkartoffeln und Kräuterquark aß.
Zu meiner großen Erleichterung verzichtete mein Vater auf ein Verhör dritten Grades, und die Unterhaltung plätscherte so dahin. Es ging um Schule und um Werder Bremen und das Wetter und andere Wichtigkeiten.
Dann sagte Marlon plötzlich: »So was habe ich noch nie gegessen!«
»Was? Kartoffeln?«, fragte mein Mutter.
»Nein, so einen Quark. Schmeckt aber gut.«
»Ach ja?« Mama beugte sich interessiert vor. »Was isst du denn normalerweise?«
Marlon grinste. »Sieht man das nicht? Asiatisch. Es gibt in Bremen gute Asien-Läden, da kauft meine Mutter meistens ein. Wir sind ja erst letztes Jahr nach Deutschland gekommen.«
»Und wo habt ihr vorher gelebt?«
»Die letzten vier Jahre in Singapur. Da bin ich auf die Deutsche Schule gegangen. Vorher konnte ich nicht viel Deutsch, denn mein Vater und meine Mutter sprechen Englisch miteinander.«
»Na, dann hast du ja was mit Ljuba gemeinsam. Die lernt auch gerade Deutsch«, sagte Daniel.
Marlon sah Ljuba direkt an. »Gefällt dir die Sprache? Ich konnte sie zuerst nicht ausstehen.«
»He …«, sagte ich.
»Das hat sich inzwischen geändert. Aber am Anfang bin ich fast verzweifelt. Filipino ist viel einfacher. Und meistens habe ich Englisch gesprochen, das finde ich auch leichter als Deutsch. Bloß ein Artikel!«
»Ja - leichter für dich!«, verkündete Kathi und alle lachten.
»Sag mal was auf Filipino«, forderte Kris ihn auf.
Marlon gehorchte, aber das waren völlig fremde Laute und wir sahen uns alle verdutzt an. Marlon hätte uns die schlimmsten Schimpfnamen an den Kopf werfen können - und wir hätten es nicht mitgekriegt.
»Jetzt sag du mal was auf Russisch!«, sagte Kris zu Ljuba.
Ljuba presste kurz die Lippen zusammen, dann lächelte sie und sagte etwas auf Russisch.
»Gut, dass wir kein Russisch können«, sagte Daniel. »Wahrscheinlich hast du uns eben alle verflucht!«
Wir lachten wieder, aber Ljuba lachte nicht mit.
»Das war nicht nett!«, stieß sie hervor, sprang von ihrem Stuhl auf und verließ fluchtartig das Esszimmer.
Wir sahen uns betreten an, aber da kam sie auch schon wieder herein.
»Entschuldigung«, sagte sie und lächelte. »Muss jetzt zum Kurs. Tschüs, ja?«
Wir sagten alle »Tschüs«, aber alle hatte der seltsame Auftritt eben verwirrt, und nicht nur ich grübelte darüber nach, was auf einmal in sie gefahren war.
Wahrscheinlich hatte Daniel mit seiner Vermutung recht gehabt und sie hatte uns wirklich verflucht! Oder sie hatte irgendwas wenig Schmeichelhaftes gesagt wie: Ihr seid lauter Fieslinge oder Schnarchsäcke oder Idioten oder so was Ähnliches.
Mit halbem Ohr bekam ich mit, dass die Zwillinge
Marlon nach Singapur und asiatischem Essen ausfragten, und ich fand es nett, wie er auf sie einging.
Dann stand mein Vater auf und ging ins Wohnzimmer zu seiner Zeitung, Mama und Daniel begannen mit dem Abräumen und ich brachte Marlon an die Tür.
»Tschüs«, sagte ich und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
»Wow, du bist aber mutig«, stichelte er mit einem vielsagenden Blick in Richtung Küche.
Dann gab er mir schnell einen Kuss auf den Mund und ging. Am Zaun drehte er sich noch einmal um, winkte kurz und grinste.
Ich schloss die Tür und hörte noch, wie Daniel »… immer noch nicht viel größer« sagte.
»Immerhin ist er groß genug, dass Alex hohe Absätze tragen kann, ohne dass er als Zwerg neben ihr hergeht«, gab meine Mutter zurück.
»… tragen könnte«, sagte ich. »Ich hab keine Schuhe mit hohen Absätzen, du warst bisher immer dagegen, und ich hab keinen großen Wert darauf gelegt.«
»Tja, das kann sich ja jetzt ändern«, meinte Mama und verschwand ebenfalls im Wohnzimmer.
»Sag mal, was ist denn vorhin in Ljuba gefahren?«, fragte Daniel und sah mich kopfschüttelnd an.
»Keine Ahnung«, sagte ich. »Und was immer ich auch für eine Meinung hätte - du würdest mir ja doch vorwerfen, dass ich ihr unrecht tue. Also hab ich lieber keine Meinung.«
»Ffffft!«, machte Daniel und warf ein Geschirrtuch nach mir.
Ich revanchierte mich mit dem Spüllappen und schon befanden wir uns mitten in einer Küchenschlacht.
»Das Geschirr lasst aber heil!«, brüllte Papa aus dem Wohnzimmer, als die Zwillinge begeistert reinstürmten
und mitmachen wollten. »Und Kris und Kathi - ab ins Bett!«
Die Wände bei uns sind ziemlich dünn.
Unsere Eltern kriegen immer alles mit.
Na ja, nicht alles. Das
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