Spinnenfalle
heil ins Esszimmer und stellte es auf dem Tisch ab.
Beim Essen ging es heute um die großen Ferien. Wir wollten in den letzten beiden Juliwochen an die Ostsee fahren, in dieselbe Pension, in der wir auch in den letzten beiden Jahren gewesen waren.
Kathi und Kris wollten wissen, wie viele Koffer und Taschen sie mitnehmen durften, und wir lachten uns kaputt bei der Vorstellung, was die beiden alles einpacken würden, wenn man sie ließe.
»Und was machst du in der Zeit, Ljuba?«, fragte Daniel plötzlich. »Fährst du in diesen Stadtteil von Moskau?«
»Nein«, sagte sie leise und sah auf ihr Brettchen runter. »Habe ich nicht genug Geld für Reise.«
»Kommst du mit uns mit?«, fragte Kris. »Oder bleibst du hier?«
Mir rutschte das Herz in die Kniekehlen.
Ljuba mit in Grotesund?
Nur über meine Leiche!
Ich hatte ganz selbstverständlich angenommen, dass sie hierbleiben würde. Haushüten oder so. Blumen gießen.
»Warum eigentlich nicht?«, überlegte meine Mutter.
Und Papa sagte: »Wie viel Betten sind da denn?«
»In meinem Kämmerchen steht leider bloß eins.« Daniel zwinkerte Mama zu.
Das machte mich wütend. »In meinem auch«, sagte ich in der Hoffnung, alle würden das Signal verstehen.
»Stimmt gar nicht!«, schrie Kathi. »Bei dir stehen zwei!«
»Ist schon gut«, sagte Ljuba und maß mich mit einem ihrer unergründlichen Blicke. »Bleibe ich hier und lerne. Ist bestimmt sehr still.«
»Ach, komm, du kannst bei uns schlafen!«, krähte Kris. »Kathi und ich schlafen wieso immer im selben Bett.«
»Das heißt sowieso «, korrigierte Mama lächelnd. »Hm. Warum eigentlich nicht? Ich finde, Ljuba hat auch ein bisschen Urlaub verdient. Was sagt ihr?«
Sie schaute alle am Tisch an. Auf mir blieb ihr Blick eine Sekunde länger ruhen - oder täuschte ich mich da?
»Klar hat sie verdient«, erklärte Kathi im Brustton der Überzeugung. »Ljuba kommt mit und Punkt!«, äffte sie Papa nach und alle lachten.
Ich auch, wenn auch ziemlich gezwungen.
Hätte ich mich dagegen ausgesprochen, hätten mich alle nur wieder unfreundlich und unsozial und eifersüchtig und was weiß ich gefunden. Also schwieg ich,
aber das wurde wohl als Ablehnung interpretiert (was völlig richtig war).
Während die Zwillinge Ljuba sofort begeistert unseren Ferienalltag schilderten (»Und dann gehen wir immer auf die Promenade, und dann kriegen wir immer ein Eis, und dann graben wir immer eine Sandburg, und dann bauen wir immer einen Zoo für die Muscheln und … und … und«), wurde mir klar, dass ich soeben wieder mal verschissen hatte.
Aber es sollte noch schlimmer kommen.
Als ich die fast leere Wurstplatte wieder in die Küche trug, kam mir in der Türöffnung Ljuba entgegen. Sie trat einen Schritt beiseite, um mich durchzulassen.
Dachte ich jedenfalls.
Doch genau in dem Moment, in dem ich über die Türschwelle trat, machte sie einen Schritt nach vorn und stieß mir die Platte aus der Hand.
Mit einem Riesenscheppern zersprang sie auf dem gefliesten Küchenboden in tausend Scherben.
»Alex!«, schrie Mama. »Ich hab doch gesagt, du sollst aufpassen. Ach, Mensch, das gute Stück! Du weißt doch, wie sehr ich daran hänge … gehangen habe.«
»Ja, Mama«, sagte ich, während ich schon auf dem Boden kauerte und die Scherben einsammelte. »Entschuldige bitte!« Eine Zehntelsekunde lang hatte ich überlegt, ob ich die Wahrheit sagen sollte, nämlich das Ljuba mich gestoßen hatte.
Aber die traurige Wahrheit war, dass keiner mir glauben würde.
Gehen Sie in das Gefängnis. Begeben Sie sich direkt dorthin. Ziehen Sie keine tausend Euro ein - so ähnlich heißt es bei Monopoly , und so fühlte ich mich.
Stumm holte ich Schippe und Handfeger und fegte die letzten Wurstscheiben mit den Scherben auf und warf
alles in den Mülleimer, während Ljuba und Daniel die restlichen Sachen vom Esstisch in die Küche brachten.
»Arme Maus«, sagte Daniel ganz leise in meine Richtung und da hätte ich am liebsten losgeplärrt.
»Ewa!«, wollte ich sagen (so wie ich es mir vorgenommen hatte, wenn Ljuba mir wieder an den Karren fahren würde). Aber dann hätte ich den anderen erklären müssen, was es damit auf sich hatte. Und da erst fiel mir auf, dass ich überhaupt nichts über Ewa wusste und keine Ahnung hatte, wofür sie das Geld von Ljuba gewollt hatte.
Vielleicht hätte ich mich sofort schlaumachen sollen, bevor ich meine Drohung gegenüber Ljuba losließ.
Aber ich war wütend.
Stinkewütend.
Sie hatte ihre Macht (ihre
Weitere Kostenlose Bücher