Spinnenkuss: Elemental Assassin 1 (German Edition)
Stiefeln, und von seiner rechten Hand baumelte eine schwarze Mülltüte.
»Tränen sind eine Verschwendung von Zeit, Energie und Ressourcen«, sagte er ernsthaft, als lüftete er damit ein großes Geheimnis.
Meine Mutter und Schwestern waren tot. Es gab Leute, die mich umbringen wollten. Ich war allein und lebte auf der Straße. Mir war kalt. Ich war hungrig. So hungrig. Ich hatte eine Menge, über die es sich zu weinen lohnte.
Der Mann musterte mich. Seine grünen Augen huschten über mein schmutzstarrendes Gesicht, meine verklebten Haare und die zerrissene Kleidung. Er seufzte, dann griff er in die schwarze Mülltüte.
Ich erstarrte und konzentrierte mich auf die Magie, die durch meine Adern floss. Falls er ein Messer hervorziehen sollte, um mich anzugreifen, würde ich meine Macht gegen ihn einsetzen. Die Ziegel aus den Gassenwänden reißen und sie ihm auf den Kopf knallen lassen. Einen Eisdolch erschaffen und ihn damit erstechen. Was auch immer nötig wurde, ich würde es tun. Selbst wenn es bedeutete, meine Magie einzusetzen, um zu töten – wieder einmal.
Der Mann zog eine verknitterte weiße Papiertüte hervor. Ich saß auf dem Boden, die Knie eng an die Brust gezogen. Meine Augen waren genau auf der Höhe des auf der Tüte aufgedruckten Schweins in Neonfarben über dem geschwungenen Schriftzug »Pork Pit«.
»Hier.« Der Mann streckte mir die Tüte entgegen. »Da ist ein Burger drin. Eine Bestellung, die nie abgeholt wurde. Und Baked Beans. Du kannst es haben, wenn du willst.«
Mein Magen knurrte zustimmend, aber ich schüttelte trotzdem den Kopf. Auf den Straßen von Ashland bekam man von niemandem etwas umsonst. Wahrscheinlich wollte er, dass ich ihm hier in der Gasse einen blies. Dafür war ich noch nicht verzweifelt genug. Noch nicht. Mit dreizehn hatte ich ihm mit meinen kleinen Brüsten, die sich gerade erst entwickelten, und den schmalen Hüften nicht viel zu bieten, aber ich hatte bereits verstanden, dass das die meisten Männer nicht interessierte, solange sie ihren Spaß bekamen.
Der Mann zuckte mit den Achseln. »Wie du willst, Mädchen.«
Er öffnete den Müllcontainer und warf erst die schwarze, dann die weiße Tüte hinein. Dann öffnete er pfeifend die Hintertür des Restaurants und verschwand im Gebäude. Ich zählte die Sekunden in meinem Kopf. Zehn, zwanzig, drei- ßig … als ich fünfundvierzig erreicht hatte, stand ich auf, rannte zum Container und zog die weiße Tüte aus den stinkenden dunklen Tiefen.
Ich sauste wieder durch die Gasse und glitt zurück in das schwarze Loch, in dem ich mich zusammengekauert hatte. Der Spalt war gerade breit genug, dass ich mich hineindrücken konnte, aber nicht groß genug, dass jemand Größeres mir hätte folgen können. Ich riss die Tüte auf, vergrub meine Zähne in dem Burger und kaute. Es war so gut, dass ich heulen wollte. Ich konnte mich nicht an das letzte Mal erinnern, dass ich Fleisch gegessen hatte, besonders so viel. Mit zitternden Händen öffnete ich den Styroporbecher, setzte ihn an meinen Mund und legte den Kopf in den Nacken, sodass die lauwarmen gebackenen Bohnen in meinen Mund fielen. Die Soße darauf war süß, aber mit einem würzigen Aroma. Nach all dem Müll, den ich in letzter Zeit gegessen hatte, schmeckte es himmlisch …
»Scheiße!«
Das Fluchen weckte mich. Ich öffnete die Augen. Meine Hand lag bereits auf dem Heft des Steinsilber-Dolches unter meinem Kopfkissen.
»Scheiße noch mal!«
Wieder erklang das genervte Fluchen. Finn. Es war nur Finn. Ich entspannte mich, glitt aus dem Bett und tapste ins Wohnzimmer. Finn stand in der Küche und warf eine getoastete Waffel von einer Hand in die andere, um sich nicht die Finger zu verbrennen.
»Wie viel Uhr ist es?«, fragte ich mit schlaftrunkener Stimme. In meinem Kopf tobten immer noch die Erinnerungen, die ich nicht ganz verdrängen konnte.
»Fünf Uhr nachmittags.« Finn biss in die Waffel und spuckte sie fast augenblicklich wieder aus, weil sie so heiß war.
»Zwölf Stunden?! Warum hast du mich so lange schlafen lassen?«
»Weil du die Ruhe dringend nötig hattest. Ich ebenso.«
Er hatte recht. Jo-Jo mochte ja die Beste sein, aber trotzdem forderte eine Heilung durch einen Luftelementar ihren Preis. Der Körper musste erst verarbeiten, dass er plötzlich nicht mehr schwer verletzt, sondern wieder vollkommen in Ordnung war. Trotz meines langen Schlafes fühlte ich mich müde, und meine Arme und Beine bewegten sich langsamer als sonst. Vielleicht eine
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