Spinnenkuss: Elemental Assassin 1 (German Edition)
antwortete ich flüsternd.
Das lederbezogene Lenkrad knirschte unter Finns Griff. »Das ist die Frau, die …«
»Ja.«
Ich beobachtete weiter. Carlyle ging um den Wagen herum und öffnete die Hintertür. Er streckte seine Hand aus, die Frau ergriff sie und erhob sich so formvollendet aus der Limousine, als wäre sie eine Debütantin auf dem Weg zu ihrem ersten großen Ball. Angeberisches Luder.
»Verdammt«, fluchte ich. »Sie steht mit dem Rücken zu mir auf der anderen Seite des Autos, und sie trägt einen langen, schwarzen Umhang. Wer zum Teufel trägt einen Umhang ? Wir sind hier doch nicht bei Dungeons & Dragons. Sie hat die Kapuze auf. Ich kann überhaupt nichts sehen. Nicht ihr Gesicht, nicht ihre Haare, nicht mal ihre Kleidung. Nichts!«
Das Lenkrad knirschte wieder. »Wir könnten sie erledigen, jetzt und sofort«, meinte Finn. »Sie rechnen nicht mit uns. Sie rechnen nicht mit dir .«
»Nein. Ich lege mich nicht mit ihr an. Nicht heute Nacht. Sie würde uns alle töten. Und ich werde nicht zulassen, dass dir was passiert.«
»Aber …«
»Nein, Finn«, blaffte ich. »Hör mir zu! Du glaubst vielleicht, du wüsstest, was ein Elementar anrichten kann, aber das tust du nicht, egal, was du auf dem Foto, das Sophia dir gegeben hat, gesehen hast. Du hast keine Ahnung, wie scheußlich ihre Magie sein kann. Ich schon.«
Das Bild von Fletchers Leiche blitzte vor meinem inneren Auge auf, gefolgt von den verbrannten rauchenden Resten meiner Mutter und älteren Schwester. Die Trauer, die mir so gut bekannt war, senkte sich auf mich herab und machte mir das Atmen schwer. Die Spinnenrunen auf meinen Handflächen juckten, als wären sie nicht nur greifbare Beweise für meine schrecklichen Erinnerungen, sondern echte Kreaturen, die unter meiner vernarbten Haut herumkrochen.
Donovan Caines haselnussbraune Augen huschten zwischen uns hin und her.
»Aber …«
Finn konnte den Satz nicht beenden. Eine gewaltige Windböe ließ die Scheiben von Caines Haus in Stücke zerbersten und pfiff dabei wie die Sense des Schnitters. Der Luftstoß riss alle Krüppelkiefern aus dem Boden, bevor er den Hügel hinabsauste und durch die Straße schoss wie ein kleiner kompakter Tornado. Mülltonnen fielen um. Briefkästen wurden von ihren Ständern gerissen. Eine bemitleidenswerte Katze wirbelte in der Luft herum und prallte gegen einen Pick-up. Sie stand nicht wieder auf.
Die Luftmagierin hatte die erste Leiche neben der Eingangstür gefunden, und sie war nicht besonders glücklich darüber.
Ich spähte durch das Nachtsichtgerät und bemühte mich, einen Blick auf ihr Gesicht zu erhaschen. Die Kapuze sorgte dafür, dass es im Schatten lag, aber sie hatte die Ärmel ihres Umhangs zurückgeschoben. Ihre Fingerspitzen brannten milchig weiß vor Magie, als wäre jeder einzelne Finger die Flamme eines Schweißgeräts. Es war die Art von konzentrierter Macht, die unaussprechliche Schmerzen verursachen konnte. Die Art von Magie, die in der Lage war, Fleisch von Knochen zu reißen. Die Art von Folter, die Fletcher ertragen hatte.
Fletcher.
Trauer und Schuldgefühle gesellten sich zu der Wut in meiner Brust. Die Gefühle kämpften miteinander, bis ich mir nicht mehr sicher war, was ich empfand – außer Schmerz. Aber ich zwang mich zum Nachdenken, trieb mich dazu an, meine Gefühle mit Rationalität zu zügeln. Wäre es nur um mich gegangen, wäre ich vielleicht zurück zum Haus geschlichen und hätte das Miststück und ihre Handlanger angegriffen. Aber ich musste an Finn denken. Und an Caine.
Außerdem hatte mich Fletcher aus gutem Grund »Die Spinne« getauft. Mein perfektes, vorsichtiges Selbst war ich nur, wenn ich durch die Schatten kroch. Meine eigenen Netze spann, meine eigenen Pläne entwickelte. Nicht, wenn ich dämlich war und mit Glanz und Gloria unterging.
Ich zeigte mit dem Finger. »Siehst du dieses Licht? Dieses Glühen? Das ist ihre Magie. Willst du, dass wir ihr zwischen die Finger geraten, Finn? Ich bin mir sicher, diese Lufttusse würde dir im Moment nur zu gern zeigen, wie sauer sie gerade ist.«
Finn dachte darüber nach. Wog das Verlangen, den Tod seines Vaters zu rächen, gegen das ab, wovon er wusste, dass es im besten Falle ein gefährlicher, im schlimmsten Falle ein tödlicher Plan war.
Auf dem Rücksitz sah Donovan Caine weiterhin zwischen uns hin und her.
Nach ungefähr dreißig Sekunden seufzte Finn auf und lockerte seinen Griff um das Lenkrad. »Nein. Ich will nicht, dass wir die Nächsten
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