Spion Für Deutschland
Eigentlich war das eine Vergünstigung. Ich konnte mir nicht erklären, warum man sie mir gewährte.
Eines Tages sah ich mir den Mann auf der anderen Seite des Grabens genauer an. Und da wußte ich um den Hintergrund der Vergünstigung. Der Mann war Dasch. Er trug den Gefängnisanzug wie ich, und er trug eine Nummer wie ich, und er verbüßte die gleiche Strafe wie ich: lebenslänglich.
Er schaufelte langsam. Kein Mensch sprach mit ihm. Jeder lehnte es ab, ihm die Hand zu geben. Seine Mitgefangenen standen einheitlich gegen ihn, ob sie Deutsche waren oder Amerikaner. Verrat ist international geächtet. . . Unter zweitausendvierhundert Menschen, die al es verbrochen haben, was Gott verboten hat, ist nur eine einzige Kategorie von Häftlingen Außenseiter für immer: die Innung der Verräter.
Wir standen uns Tage und Wochen gegenüber. Genau gegenüber. Nur zwei Meter voneinander getrennt durch einen lächerlichen, flachen Graben. Und jeder von uns hatte eine Schaufel in der Hand. Eine besonders stabile amerikanische Schaufel. Und täglich wartete man in Leavenworth darauf, daß etwas passieren würde. Es wartete der Direktor, sein Vertreter, das
Wachpersonal, die Gefängnisinsassen. Sie warteten vergebens. Der Mann, der mir gegenüberstand, war ein Gefangener seiner eigenen Gedanken. Er stand am Marterpfahl seines Gewissens. Er stand am Pranger seines Verbrechens. Er erlebte täglich, stündlich, minütlich, was er heraufbeschworen hatte. Er war Kamerad Judas gewesen, und er wußte es. Er erlebte, wie er mit seinen sieben Kameraden, von einem deutschen U-Boot abgesetzt, in Amerika gelandet war.
Wie er, um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, zur FBI ging, wie die amerikanische Abwehr zuschlug und wie sechs von seinen sieben Kameraden auf dem elektrischen Stuhl zum Sterben fertiggemacht wurden ...
Ich gewöhnte mich an Dasch. Er gewöhnte sich vielleicht auch an mich. Wir wußten beide, daß die Gefängnisdirektion auf einen Zwischenfall spekulierte.
Wir ließen es zu keinem kommen. Was ging mich der Verräter Dasch an! Ich war genug mit meinem eigenen Schicksal beschäftigt. Nach drei Wochen etwa wandte sich ein fast zwei Meter großer Häftling an mich.
»Du weißt doch, was mit Dasch los ist?« sagte er.
Ich nickte.
»Solche Kerle gehören umgelegt«, fuhr er fort.
»Was willst du eigentlich von mir?« fragte ich.
»Wenn du mir zehn Päckchen Zigaretten gibst«, schlug er dann vor, »stirbt Dasch morgen.«
»Wie willst du das machen?«
»Ganz einfach. Ein kleiner Unfal . Ich sitze da oben auf einem Baugerüst. Wenn Dasch morgen vorbeigeht, lasse ich eine zwei Zentner schwere Eisenstange genau auf seinen Kopf fal en. Verstanden?«
»Ja.«
Er streckte mir seine Hand her.
»Also, dann gilt's! Die Zigaretten brauchst du mir natürlich nicht auf einmal zu geben.«
»Ich habe keine Zigaretten«, erwiderte ich und ließ ihn stehen. Dasch lebt heute noch. Er wurde ein paar Jahre vor mir aus der Haft entlassen und nach Deutschland abgeschoben.
Meine Tage in Leavenworth waren gezählt. Mein Fluchtversuch war nach Washington gemeldet worden. Und die oberste amerikanische
Vollstreckungsbehörde faßte einen Entschluß, der mir das Blut gerinnen ließ.
Ich sol te nach Alcatraz verlegt werden, auf die >Teufelsinsel< in der Bucht von San Francisco — in das sicherste Gefängnis der Welt, in das Zuchthaus für lebendig Begrabene. In die Strafanstalt, die bisher nur Tote oder Sterbende verlassen haben.
Wir wurden zu zweit in einem Gefängniswagen quer durch Amerika geschleust.
In Handschel en und Fußketten. Der Mann, der tagelang zusammen mit mir an der gleichen Kette hing, hieß William Kingdom de Norman und war die rechte Hand des berüchtigten Gangsterkönigs Dutch Schulz, der von einer
Konkurrenzbande auf offener Straße mit der Maschinenpistole
niedergeschossen worden war. Die Vergangenheit des Mannes, der wie ein siamesischer Zwil ing an mir hing, war durch ein halbes Dutzend Schußnarben ausgewiesen. Er war liebenswürdig, fast heiter und zeigte gute Manieren. Wir benahmen uns den Umständen entsprechend wie Gentlemen. Selbst wenn wir aßen oder wenn wir die Toilette aufsuchten, mußten wir zu zweit sein. Die Ehre, zu den gefürchtetsten Ausbrechern zu gehören, bezahlten wir mit vielen Widrigkeiten.
Nach tagelanger Fahrt landeten wir in Alcatraz. In San Francisco wurden wir von einem Motorboot der Anstalt in Empfang genommen. In Alcatraz, einem
Felsenriff, zwei Meilen vom Festland entfernt,
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