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Spion Für Deutschland

Spion Für Deutschland

Titel: Spion Für Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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einfach abgeschlossen wurde. Ich glaubte, eine Möglichkeit gefunden zu haben.
    Ich konstruierte ein Werkzeug, mit dem man die Gitterstäbe auseinanderbiegen und dann hindurchschlüpfen konnte. Not bricht Eisen . . .
    Ich sagte niemandem etwas von meinen Fluchtplänen.
    Eines Tages war es soweit.
    Ich wartete bis Mitternacht. Dan setzte ich meinen Hebel an. Es gelang auf Anhieb. Ich sprang vom Zellenhaus ins Freie — in das schmale Niemandsland zwischen Zellenhaus und Drahtzaun. Noch konnte ich mich im Schatten des Hauptgebäudes halten. Jetzt mußte ich einen schnellen Sprung über den hel erleuchteten Zwischenraum machen. Glückssache! Sah man mich, hatte ich keine Chance. Kam ich bis zum Drahtverhau, war die erste Fluchtetappe geschafft und die zweite, die schwierigere, begann. Vielleicht wiesen die Maschinengewehre genau auf die Stelle, an der ich mich durch den Draht arbeiten wollte.
    Ich preßte mich an die Wand des Zellenhauses. Ich kauerte mich zum Sprung zusammen. Ruhe! Ruhe! befahl ich mir selbst. Dann schnellte ich hoch . . .
    In derselben Sekunde huschte der Strahl eines Scheinwerfers an der Wand des Zel enhauses entlang. Langsam, gemächlich, zufällig, zwei, drei Meter von mir entfernt, dann weiter weg, näher kommend, ganz nahe. Ich warf mich zu Boden. Der Schein ging über mich hinweg, senkte sich. Ich war im Kegel. Ein zweiter Scheinwerfer wurde vom anderen Wachtturm aus eingeschaltet. Ich war erkannt, gestellt, taghel angestrahlt. Eine Sekunde später krachten die ersten Warnschüsse.
    Ich sprang vom Boden hoch, hob die Arme in die Höhe und wartete.
    Sie hatten mich gefaßt.
    Am nächsten Morgen stand ich zur Verhandlung vor dem Vizedirektor der Strafanstalt Leavenworth.
    »Geben Sie zu, daß Sie fliehen wollten?« fragte er mich.
    »Es bleibt mir nichts anderes übrig.«
    Er nickte.
    »Vielleicht hätte ich es an Ihrer Stelle genauso gemacht«, meinte er, »aber Sie sind sich darüber im klaren, daß ich Sie bestrafen muß?«
    »Ja.«
    »Ich verurteile Sie zu vierzehn Tagen strenger Einzelhaft bei Wasser und Brot.«
    Er nickte mir noch einmal zu. »Well, das wäre es.«
    Ich überstand die vierzehn Tage gut. Wenn man weiß, daß die Strafe befristet ist, fällt sie nicht so schwer, und ich war mittlerweile ein gegen al e Unbil abgehärteter Zuchthausinsasse geworden.
    Aber ich hatte meine Rechnung ohne den Wirt gemacht. Der Wirt war in diesem Fall der Direktor der Anstalt, der mich nicht leiden konnte. Als ich den strengen Arrest überstanden hatte, wurde ich für acht Monate in Einzelhaft gesteckt. Ich erhielt Sprechverbot. Jeden Tag vor dem Mittagessen erschienen Anwärter für den Beamtendienst im Strafvol zug, vor denen ich mich ganz ausziehen mußte.
    Die lästige Zeremonie, die angeblich zur Verhinderung weiterer Fluchtversuche dienen sollte, war lediglich eine Schikane. Frische Luft,
    Bewegungsmöglichkeiten über die wenigen Quadratmeter Fläche der Zelle hinaus blieben mir versagt. Wenn ich während der täglichen Kontrolle auf den Gang geführt wurde, gelang es mir mitunter, mich per Zeichensprache mit den Leidensgenossen zu unterhalten.
    Es ist fürchterlich, wenn man acht Monate lang seine eigene Stimme nicht hört, keinen Sonnenstrahl sieht, keine frische Luft atmet, nicht weiß, was in der Welt vor sich geht. Wenn die Zeit stehenbleibt, wenn Erinnerungen auftauchen, Erinnerungen an etwas, das unendlich weit zurückliegt und nie wiederkommt.
    Ich weiß nicht, wie ich diese Zeit überstand. Viele Gefangene vor und nach mir haben sich in Einzelhaft das Leben genommen. Mit diesen Gedanken habe ich aber nie gespielt, obwohl es schien, als ob das Leben mir alle Notausgänge zugemauert hätte. Als ich nach acht Monaten die Zelle verlassen durfte, konnte ich nicht mehr gehen. Ich wäre die Treppe hinabgefallen, wenn mich nicht der begleitende Wärter am Arm gefaßt hätte.
    »Nicht so hitzig, Boy«, sagte er, »du mußt erst wieder laufen lernen. Es geht al en so, wenn sie herauskommen. Es stimmt nicht mehr mit dem
    Gleichgewicht.«
    Bei diesen ersten Gehversuchen begegnete mir der Mithäftling Dasch, der Verräter. Der Mörder seiner Kameraden. Der Mann, der sechs deutsche Agenten auf den elektrischen Stuhl gebracht hat. Der unbeliebteste Häftling von Leavenworth.
    Es war nicht meine erste Begegnung mit ihm. Wir waren längst vorher
    zusammengekommen. Als ich endlich vom Kohlenschaufeln abgelöst wurde, verwandte man mich bei Ausschachtungsarbeiten innerhalb des
    Gefängnisterrains.

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