Spion Für Deutschland
abgeschaltet wird, daß man am Sonntag arbeiten muß. Man gewöhnt sich daran, daß die Zel ennachbarn schnarchen, fantasieren, daß sie schreien, daß sie sich prügeln, daß sie sich umarmen. Alles ist nicht so schlimm, man gewöhnt sich daran, daß das Licht knapp ist, daß man das Fenster nicht öffnen kann, wenn man will, daß die Toilette stinkt. Man gewöhnt sich an die Unfreiheit. Man findet sich damit ab.
Alles ist erträglich. Bis auf eins:
Daß es keine Frauen gibt. Daß man Frauen kaum sieht. Daß man sie nicht lachen hört. Daß man nicht mit ihnen sprechen darf. Daß man nicht mit ihnen Spazierengehen kann. Daß man sie nicht umarmen darf. Daß man ihnen nichts schenken darf. Daß man nicht von ihnen beschenkt wird. Daß man sie nicht ansehen darf. Das ist das Schlimmste.
Das Allerschlimmste.
Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute denkt man in der Haft an Frauen. Unter dem großen Leben stellt man sich das Leben mit einer Frau vor. Man malt sich aus, wie sie aussehen muß.
Man wünscht sie sich blond oder rot, groß oder klein. Man formt sie in seiner Fantasie, bis sie lebendiges Leben wird.
Der Gefangene von Alcatraz ist abgeschrieben für immer. Die Ausweglosigkeit hat im Jahre 1946 zu einer blutigen Revolte geführt, bei der fünf Menschen starben und fünfzehn schwer verletzt wurden.
Am 2. Mai 1946 begann der Aufstand. Er dauerte achtundvierzig Stunden. Die Wärter waren hilflos, denn die Gefangenen hatten sich bis an die Zähne bewaffnet. Amerikanische Marineinfanterie trat zum Sturm auf die Insel an . . .
Was in Alcatraz vorgefal en war, erfuhr die amerikanische Öffentlichkeit erst Tage später: Zwei Häftlinge überfielen einen Wärter, nahmen ihm den
Schlüsselbund ab und sperrten ihn in die >blutige Zel e<, in die Zel e 403. Den beiden Gefangenen gelang es, an die Gewehrgalerie heranzukommen. Einem dritten Wärter wurden Gewehr und Pistole abgenommen. Die anderen
Gefangenen wurden befreit.
»Jetzt gehört Alcatraz uns! Hauen wir ab!« riefen sie im Chor. Der
Freiheitsrausch dauerte nicht lange.
Die Schlüssel zu den massiven Stahltüren, die die Zellenhäuser von der Außenwelt abriegelten, fehlten. Einzelne Häftlinge gingen freiwil ig in ihre Zel en zurück. Drei Offiziere aber, die die Gefangenen zur Vernunft bringen wol ten, wurden überwältigt und in die Zel e 403 gesperrt.
»Nehmt doch Vernunft an«, rief Captain Weinhold aus Zel e 403, »ihr könnt euch nicht lange halten. Die Sache wird euch teuer zu stehen kommen.«
Einer der Gefangenen erwiderte:
»Wenn jemand sterben muß, dann bist du der erste.«
Die Sirenen heulten Alarm? Der Häftling Kretzer schoß in einem plötzlichen Wutanfall in die Zelle 403. Der Direktor von Alcatraz mußte Hilfe von außen anfordern. Die Aufständischen verschanzten sich in der Gewehrgalerie. Es war wie in einem Wildwestfilm. Die Schlacht dauerte zwei Tage. Die Marinesoldaten arbeiteten sich bis an den Luftventilator heran. Sie schossen Gasgranaten ab.
Selbst dann war die Revolte noch nicht niedergeschlagen.
Die Soldaten deckten das Dach ab und warfen Handgranaten in die
Gewehrgalerie. Die letzten Gefangenen verbarrikadierten sich in einem Tunnel unter dem Zel enhaus. Sie wurden im Kampf erschossen . . .
Alcatraz war fast völ ig zerstört und mußte wieder neu aufgebaut werden. Und der Insasse Nummer 866 in diesem Zuchthaus mit der blutigen Vergangenheit hieß Erich Gimpel und stammte aus Deutschland.
Obwohl jede Organisation verboten war, waren die Gefangenen nirgends so straff organisiert wie in Alcatraz. Die Führung hatten die Bankräuber und Kidnapper. Hinter der Seilerei wurde in alten Regenmänteln Schnaps gebrannt.
Aus Zucker, Hefe und gestohlenen Rosinen brauten Spezialisten ein
hochprozentiges Gemisch, das nur Leute erhielten, die den illegalen Führern der Gefangenen sympathisch waren. Ich wußte davon lange Zeit nichts. Eines Tages rief mir ein Mann zu:
»He, komm mal her. Du sol st auch was haben.«
Ich trank einen ganzen Becher aus und hatte Mühe, auf den Beinen zu bleiben.
Von da an erhielt ich meine tägliche Ration. Der Alkohol machte alles viel erträglicher. Mitunter wurden unsere Schnapsvorräte gefunden und vernichtet, aber die primitive Brennvorrichtung behielten wir weiter. Natürlich merkten die Wärter, daß wir tranken, aber es war eine Art stillschweigendes Abkommen, daß sie es nicht ganz unterbanden.
Ein Mitgefangener namens Kenny Palmer hatte eines Tages zuviel getrunken und lag halb bewußtlos
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