Spion Für Deutschland
Waggon eines deutschen Personenzugs ähnlich. In einer Ecke saßen fünf lärmende GIs. Sie hatten eine halbvolle Flasche Whisky bei sich und erzählten Schauergeschichten über eine Elizabeth. Ihnen am nächsten saß ein Pfarrer. Er bewegte ständig die Lippen, wie wenn er beten würde. Zwei Farmersfrauen unterhielten sich über Hühnerzucht. Der Zug fuhr schnell, angenehm gefedert, durch die Nacht.
Billy und ich sprachen kein Wort miteinander. Unsere beiden Koffer waren im Gepäcknetz verstaut. Ich versuchte, so wenig wie möglich zu ihnen hinzusehen.
Noch zwanzig Minuten, noch sechzehn, noch zehn, noch vier. Die Lichter von Portland. Durch die Sperre noch. Dann waren wir wieder ein Stück weiter.
Die Soldaten machten Krach am Bahnsteig. Ein Offizier drehte sich unwillig nach ihnen um. Sie gingen ein paar Schritte weiter und schimpften auf die >damned officers<. Die leere Flasche warfen sie auf die Schienen. Alles, was jetzt, eine Stunde nach Mitternacht, noch unterwegs war, wurde von den GIs abgelenkt.
Die Leute lachten oder schimpften über die Soldaten und vergaßen darüber, daß wir keine richtigen Wintermäntel trugen und barhäuptig durch das
Schneetreiben liefen.
Aufregung macht Hunger. Wir stel ten unsere Koffer in der
Gepäckaufbewahrung sicher. Die ganze Zukunft des Unternehmens Elster< hing an einem gelben Zettel, mit dessen Hilfe und zwanzig Cents ich mir den Sender, die Geheimtinte, die Diamanten, die Dollars und die Waffen wieder abholen konnte.
Wir verließen das Bahnhofsgebäude und liefen ein paar Hauptstraßen entlang.
Sie waren belebter, als es deutsche Straßen 1944 zu sein pflegten. In den Schaufenstern geisterte schon >Santa Claus<, der Weihnachtsmann, herum.
Aus Deutschland war er längst geflüchtet. Er trug einen weißen Wattebart, einen roten Mantel und eine Bischofsmütze, wie eh und je.
Neonlicht war an der Nachtordnung. Verdunkelung gab es nicht. Al es war noch in den Schaufenstern zu sehen: goldene Armbanduhren, Füllfederhalter, Brieftaschen, Lebensmittel, Spirituosen, Zigaretten. Knapp war höchstens das Geld.
Das Schneetreiben hatte aufgehört. Wir gingen zurück zum Bahnhof. Wir hatten noch eineinhalb Stunden Zeit, dann ging es weiter nach Boston. Wenn unsere Landung doch bemerkt worden war — in Boston konnte uns am nächsten
Morgen noch niemand vermuten. Boston hatte nur einen einzigen Haken: es war die Geburtsstadt von Bil y Colepough. Wir konnten Boston nicht vermeiden.
Aber ich war mir darüber im klaren, daß ich meinen Begleiter dort keine Sekunde aus den Augen lassen durfte. Er hatte Verwandte, Angehörige, Freunde in der Millionenstadt. Und er wurde nervöser, je näher es auf sie zuging.
In der Bahnhofshalle stießen wir auf ein fahrbares Büfett.
Ein Mann im weißen Kittel fragte uns, was wir wol ten.
»Ham and Eggs«, erwiderte ich. Es waren meine ersten drei Worte Englisch, die ich seit der Landung sprach.
»Und welches Brot dazu?« fragte der Mann.
Ich erlebte meine erste Panne. Welches Brot? Gibt es denn verschiedenes Brot?
Ich stutzte.
Der Mann fragte noch einmal:
»Welches Brot wollen Sie zu Ihrem Schinken mit Ei haben?«
»Geben Sie mir irgendeines«, erwiderte ich.
Er sah mich verwundert an.
»Möchten Sie vielleicht Toast?«
»Ja«, entgegnete ich, »Toast ist ausgezeichnet.«
Ich aß, so schnell ich konnte, und verschwand. Die Tatsache, daß es in Amerika auch im Krieg noch fünf Sorten Brot gibt, hatte mir ein Bein gestellt. Der Mann war stutzig geworden.
Wir saßen im Zug von Portland nach Boston. Die Panne am rol enden Büfett hatte mich wieder unsicher gemacht. Alles hatte ich in Deutschland schulmäßig geübt, aber auf die fünf Brotsorten war ich nicht vorbereitet gewesen. Ich ging meine Amerika-Kenntnisse noch einmal durch. Ich fragte und antwortete mir selbst, wie lang der Mississippi, wie hoch das Empire State Building ist, wie die letzten zehn amerikanischen Präsidenten hießen und wer im Baseball führte.
Ich weiß nicht mehr, wie lange wir gefahren sind. Es dämmerte jedenfalls, als wir aus dem Zug stiegen.
Wir mußten ein Hotel suchen. Wir fanden es in der Nähe des Bahnhofs. In Amerika gibt es keine Meldepflicht. Genau betrachtet hat man nicht einmal einen richtigen Ausweis. Man gibt seinen Namen an, zahlt, wohnt und geht. Wir mieteten uns im >Essex< ein. Der Mann am Empfang schrieb unsere Namen in ein schwarzes Buch, ohne uns zu betrachten. Ich war meiner Sache ziemlich sicher, daß er uns hinterher nicht
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