Spion Für Deutschland
Tod ist so andauernd, fahr vorsichtig!
»Na, siehst du«, sagte ich zu Bil y. »Es ist ganz einfach. Und auf der Straße geht es sich viel besser als im Wald.«
Er nickte. Auf einmal hatte er seine Nerven wieder in der Gewalt. Es ist doch gut, daß ich ihn mitgenommen habe, dachte ich.
Wie nahe wir bereits in dieser Stunde auf der Straße von Ellsworth nach Boston der Verhaftung waren, erfuhren wir erst später. Ganz Amerika war natürlich von der Abteilung Psychologische Kriegführung< von früh bis spät vor Spionen und Saboteuren gewarnt worden. Zuerst hatte ganz Amerika willig die Psychose der
>Fünften Kolonne< mitgemacht. Den Amerikanern kann man alles einreden, wenn man nur genügend Geld für die Propaganda ausgibt. Aber immer nur eine Zeitlang. Der Übereifer der >Kriegspsychologen< schadete letztlich. Als nach einem halben Jahr, nach einem Jahr, nach zwei Jahren nichts Wesentliches geschehen war, nahm niemand mehr die Warnungen vor Spionen ernst.
Niemand außer der Jugend, außer der ganz jungen Jugend.
Ein Boy-Scout war eine halbe Stunde nach unserer Landung an uns
vorbeigefahren. Er hatte mit Freunden an einem Liederabend teilgenommen. Er war fünfzehn Jahre alt, hatte hellblonde, kurzgeschnittene Haare, blaue Augen, eine lebhafte Fantasie und schon einen Ansatz zum logischen Denken. Ich lernte ihn im Gerichtssaal kennen. Viel später. Und da erfuhr ich auch seine Story.
Er glaubte noch an Spione. Wir hatten Koffer in der Hand. Kein Mensch trägt in Amerika Koffer, jedenfal s nicht auf abgelegener Straße. Wir hatte keine Hüte.
Jeder Mann trägt in Amerika, zumindest bei einem Überlandmarsch, einen Hut.
Und wir hatten Trenchcoats an. In Amerika trägt aber jedermann, zumindest bei Schneetreiben, einen dicken Wintermantel.
Wir waren dem fünfzehnjährigen Burschen sofort verdächtig. Aber damit begnügte er sich nicht. Die amerikanischen Pfadfinder huldigen einer eigenartigen Romantik, einer Mischung aus tätiger Nächstenliebe und
praktiziertem Indianerspiel. Der Junge suchte Fußspuren und fand sie im aufgeweichten Schnee. Er holte seine Taschenlampe und untersuchte sie. Er machte sich an die Arbeit und ging ihrem Ursprung nach. Er konnte sie bis zur Küste verfolgen. Er überzeugte sich davon, daß wir aus dem Wasser gekommen sein mußten. Er wußte auch schon, daß wir zu zweit waren.
Noch in der gleichen Nacht meldete es der Pfadfinder der nächsten
Polizeiwache. Ein dicker Wachtmeister lachte ihn aus und gab ihm den Rat, schlafen zu gehen, damit er am nächsten Morgen bei der Mathematikaufgabe ausgeruht sei.
Der Junge gab noch nicht auf. Er setzte sich mit der örtlichen FBI in Verbindung.
Zuerst wol ten ihn die Beamten hinauswerfen, aber sie merkten, daß er sich nicht abweisen ließ. Deshalb hörten sie ihn widerwillig an. Er beschrieb seine Beobachtung, begründete sie, meldete die Richtung, in der wir uns entfernt hatten.
»Du bist sehr tüchtig, Boy«, sagte ein Beamter zu ihm. »Mach nur so weiter.
Dann wirst du einmal ein ausgezeichneter Soldat. Aber bis dahin ist leider der Krieg schon aus. Nee, Spione gibt es schon lange nicht mehr. Nur die Boy-Scouts stöbern sie noch auf. Jeden Tag fünfzig Stück . . .
Von diesem Zwischenfall wußten wir nichts, als wir auf der Straße
weiterwalzten, müde, nervös und schon ein wenig apathisch, wenn wir nicht gerade im Lichtkegel eines Scheinwerfers standen. Die Haare hingen uns in die schweißnasse Stirn. Die Füße schmerzten. Die Arme waren lahm vom
Koffertragen. Ich gab mich keiner Illusion hin: Wir sahen bestenfal s aus wie Einbrecher. Selbst dem dümmsten Polizisten mußten wir auffallen. Zumindest unsere Koffer würde er sich ansehen wollen. Und dann waren wir geliefert. Oder ich schoß ihn über den Haufen, wie von Oberst M. befohlen.
Vielleicht hängten sie mich dann vier Wochen früher . . .
Wieder kam uns ein Auto entgegen. Die Augen schmerzten. Der Kerl am Steuer blendete nicht ab, aber er verlangsamte die Fahrt. Der Fahrer schaltete zurück.
Es war ein leichtes, knirschendes Geräusch. Die Kupplung war wohl nicht mehr ganz in Ordnung. Ich langte in die Tasche. Ich hatte den Finger am Abzug.
Der Wagen kam langsam auf uns zu und — hielt. Der Fahrer kurbelte die Scheibe herunter.
»Hal o, Boys!« rief er über die Straße.
Billy wollte davonlaufen. Ich hielt ihn zurück.
»Los!« sagte ich zu ihm. »Gehen wir rüber.«
Der Mann im Wagen war al ein. Wir atmeten auf. Er war vielleicht fünfzig Jahre alt, hatte
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