Spion Für Deutschland
mit Leuten der Atomindustrie zusammenbringen sollte. Ich lernte sie auswendig und verbrannte den Zettel. Ich ging im Zimmer hin und her, bestellte einen Whisky, aber er bändigte meine Unruhe nicht.
Schräg gegenüber von meinem Hotel war ein kleines Kino. Ich ging hinein. Es war furchtbar. Ich sah eineinhalb Stunden lang, wie deutsche Soldaten russische Zivilisten mißhandelten. Eine Russin, die einen Partisanen beherbergt hatte, lag auf einem Misthaufen und gebar ein Kind. Um sie herum standen deutsche Soldaten und rissen Witze. Dann kam die Heldin, eine blonde Russin, streichelte ihren Geliebten, einen Hauptmann der Wehrmacht und gab zwischendurch an, wer erschossen werden sollte. Der Schmachtfetzen war an Geschmacklosigkeit und Gehässigkeit nicht zu überbieten. Es war das amerikanische Gegenstück zu Veit Harlans >Jud Süß<.
Ich ging zurück in das Hotel, trank noch ein paar doppelte Whisky und legte mich schlafen. Plötzlich war ich wach. Ich sah auf die Uhr. Drei Uhr. Das zweite Bett war leer. Billy fehlte. Ich war sofort hellwach. Ich stand auf, zog mich an, ohne Licht zu machen.
War er gefaßt worden? Würde er mich verraten, wissentlich oder unwissentlich?
Welche Methoden hatte die FBI, um einen Mann zum Reden zu bringen?
Ich ging aus dem Hotel. Niemand bemerkte mich, so hoffte ich. Ich lief auf die andere Straßenseite. Ein Haus war unversperrt. Ich ging hinein. Ich beobachtete vom Gang aus, was sich vor meinem Hotel ereignete, überlegte, was die FBI täte, fal s . . . Vielleicht schickt sie mir Billy allein zurück? Vielleicht kamen Beamte und durchsuchten das Hotel. Viel eicht postierten sie sich auf der gegenüberliegenden Seite, in meiner unmittelbaren Nähe also. Ich rauchte eine Zigarette nach der anderen und verdeckte die Glut in der hohlen Hand.
Meine Koffer waren auf meinem Zimmer. Ich hatte nur eine kleine Ledertasche mit etwas Geld und eine Pistole bei mir. Mein Beobachtungsposten war keineswegs ideal. Jeden Augenblick konnte jemand das Haus verlassen oder hereinkommen. Ein fremder Mann, der um drei Uhr früh im unbeleuchteten Gang eines Hauses steht, ist schon halb verhaftet.
Halb vier Uhr, vier Uhr. Die Nacht dehnte sich wollüstig. Sie ließ sich Zeit. Und nichts war von Billy zu sehen. Ich sah schon, wie sie ihn auf einer Polizeistation ausquetschten. Ich sah sein Gesicht ganz nahe neben mir. Schweißnaß, unruhig, gequält.
Dann saß er plötzlich in einer Bar, eine Blondine rutschte auf seinem Schoß herum, und er steckte ihr einen zusammengerollten Fünfzig-Dollar-Schein in das Dekollete.
Was war richtig, was war falsch an meinen Fantasiegebilden?
Fünf Uhr. Nebel fiel über New York. Ob ich mein Versteck verlassen und auf der Straße patrouillieren sol te? Das wäre bestimmt falsch, sagte ich mir. Da würde ich der ganzen Straße, nicht nur den Hausbewohnern auffal en. Die Sekunden zogen an mir vorbei. Sechzig von ihnen sind eine Minute. Sechzig Minuten ist eine Stunde. Kein Mensch kann ahnen, wie lang sie ist, wenn er nicht regungslos, argwöhnisch, entsetzt auf einem Fleck steht und wartet, wartet, raucht, in die Nacht starrt, bis die Augen brennen, bis er Bewegungen sieht, die es nicht gibt, bis er Szenen erlebt, die nur in seiner Fantasie existieren!
5 Uhr 30. Der Nebel verzog sich etwas. Der Verkehr wurde dichter. Gleich werden die ersten Hausbewohner aufstehen. Vier Tage bin ich jetzt in Amerika.
Ob U 1230 unbemerkt aus dem Bereich der amerikanischen Küstehverteidigung gekommen ist? Ich stand da, wartete, hoffte, zitterte und wußte nicht, daß sich zur gleichen Stunde auf hoher See eine Tragödie abspielte, die später bei meiner Verhandlung vor dem amerikanischen Kriegsgericht auf meinem Konto abgebucht werden sol te.
Kapitänleutnant Hilbig war in unendlich vorsichtiger Fahrt wieder aus der Frenchman-Bai herausgekommen. Das Boot nahm Heimatkurs. Nach zwei
Tagen etwa hatte es die größte Gefahr überstanden. Es war wieder unter Zerstörern, Minensuchbooten und Fischkuttern hindurchgetaucht. Und wieder waren die Radargeräte des Küstenschutzes abgeschaltet. Dezember 1944 ..
.Wer dachte denn noch an U-Boote! 160 bis 170 Meilen ist Kapitänleutnant Hilbig von der Küste entfernt. Er schnorchelt in der Nacht. Eine halbe Stunde noch, und es ist vorbei damit. Erste, kaum sichtbare Lichtstreifen tauchen am Horizont auf. Die >Bordkapel e<, der Plattenspieler, plärrt >Heimat, deine Sterne . . .<, ein Lieblingsstück der Besatzung. Al nächtlich findet ein
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