Spion Für Deutschland
Wunschkonzert statt. Das Musikgerät steht in der Funkzentrale. Der Funker notiert die Wünsche. Die Reihenfolge wird genau eingehalten. Wer zuerst kommt, spielt zuerst. Der Dienstgrad entscheidet nicht. Die Musik verstummt mit einem Schlag.
Achtung, heißt das. Was ist los? Ein Angriff des Feindes? Alarmtauchen?
Nein! Der Kapitän sieht genau vor sich, beleuchtet, ungeschützt, einen etwa 15000 Tonnen großen amerikanischen Getreidedampfer. Genau vor seinen Torpedorohren. Der erste Schuß müßte sitzen!
Sol te man das Schiff versenken? Würde man sich damit nicht alli ertes
>Ehrengeleit< bis in den Heimathafen bestellen? Würde nicht die ganze schlafende Küstenwache das deutsche U-Boot über den Ozean hinweg
verfolgen? Daran denkt der Kapitänleutnant in dieser Sekunde nicht. Was vor die Rohre kommt und mühelos versenkt werden kann, muß auf Grund. Das ist einfach der Ehrenkodex des U-Boot-Krieges. Den Kodex hat der Krieg
geschrieben.
Der Offizier hat die Wahl zwischen einem normalen und einem
elektroakustischen Torpedo. Mit dem normalen muß man sorgfältig zielen, der elektroakustische Torpedo trifft von selbst. Er ist eine der tol sten deutschen Kriegserfindungen. Wenn man mit ihm vorbeischießt, wendet er von selbst, nimmt Kurs auf das Ziel, verfolgt jede Zickzacksteuerung und ist eine Kleinigkeit schneller als das verfolgte Schiff. Eine tödliche Kleinigkeit !
»Normale Torpedos!« befiehlt Hilbig — ein elektroakustischer ist zu kostbar. U
1230 hat nur zwei dabei, und man weiß nicht, wie man sie auf der Heimfahrt braucht. Seitdem, sie deutsche U-Boote bei sich führen, hüten sich die feindlichen Zerstörer vor direkten Angriffen.
»Feuer!«
Der Kapitän weiß genau, wie viele Sekunden der vernichtende Aal aus Stahl braucht. Das Getreideschiff ist ganz nah an das U-Boot herangekommen. Es zeigt seine volle Breitseite. Es hat 59 Matrosen an Bord. Die meisten von ihnen liegen unter Deck und schlafen. Warum sollten sie auch nicht? Der Dienst ist anstrengend genug, und gleich kommt die Ablösung. Ein Tag noch, und man ist im Hafen, bei der Frau, bei den Kindern, bei der Braut.
Das Torpedo detoniert genau mittschiffs. Vol treffer!
Das Drama im Morgengrauen vollzieht sich in Sekunden. Der Tod läßt sich wenig Zeit im Krieg. Das Schiff bricht auseinander. In zwei Minuten hat das Meer die Wrackteile geschluckt.
Bilanz: 46 Tote, zunächst wenigstens. Der 47. Matrose stirbt erst drei Stunden nach seiner Bergung. In drei Wochen ist der Weihnachtsabend. Wer denkt schon daran?
U 1230 zieht heimwärts, verfolgt von Zerstörern, Flugzeugen, Kreuzern, bekämpft mit Bomben aller Kaliber. Langsam kriecht das Schiff über den Ozean.
Tage vergehen. Wochen. Der Koch läuft mit dickem Kopf herum. Er ist halb irr vor Zahnschmerzen. Seine Kunst leidet darunter. Es ist kein Zahnarzt an Bord.
Medizinische Probleme sind Sache des Kapitäns.
Auf hoher See, vom Feind gejagt, hat einmal ein Kapitän eines deutschen U-Bootes einem Mann seiner Besatzung den Blinddarm herausgenommen. Der Offizier hatte natürlich keine Ahnung von Chirurgie. Ein Maat stand neben ihm und las aus einem allgemeinverständlichen Handbuch das Notwendigste vor.
Die Frage war ganz einfach: den Mann operieren oder sterben lassen? Die Operation glückte.
Dem Koch von U 1230 sollten die Zähne gezogen werden. Aber sie saßen auf Eiter. Und man durfte ihm, um eine Blutvergiftung zu vermeiden, keine örtliche Betäubungsspritze geben. Ein paar Maate entschlossen sich, die >Operation< zu wagen. Sie wollten den Patienten mit Chloroform betäuben. Sie nahmen zuerst zuwenig, und es half nichts. Dann verabreichten sie zuviel. Der Koch fiel um. Er verkrampfte Oberkiefer und Unterkiefer. Drei Mann zogen oben und unten, um ihm den Mund zu öffnen. Vergeblich.
Die Operation wurde abgeblasen. Aber das Chloroform war zu freigebig verabreicht worden. Der Patient blieb bewußtlos. Vier Maate standen ratlos um ihn herum. Sie hatten, entgegen der Bestimmung, ihrem Kapitän nichts von dem Behandlungsversuch mitgeteilt und fürchteten, der Koch könnte an der Überdosis sterben. Nach dreizehn Stunden war er wieder bei sich. Er ertrug jetzt bereitwillig die Zahnschmerzen bis Kiel.
Ende März lief U 1230 dort ein.
Auftrag ausgeführt! Wie durch ein Wunder war die Besatzung von U 1230 heil nach Hause gekommen . . .
Aber jetzt, am 3. Dezember 1944, kämpfte es noch um seine Existenz. Am 3.
Dezember 1944 um 5 Uhr 37 sank laut Auszug des Seefahrtsprotokolls ein
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