Spion Für Deutschland
Gericht wird darüber bei der Urteilsfindung zu entscheiden haben . . . Die Sitzung ist auf morgen vertagt.«
Die Verhandlung ging mit entnervender Langsamkeit weiter. Das Gericht arbeitete derart gründlich, daß in mir keinerlei Zweifel über den Ausgang des Verfahrens offenblieben. Stundenlang schlugen sich meine Verteidiger mit Major Carry herum. Siege und Niederlagen folgten in bunter Reihe, aber meine Verteidiger waren eben an einen hoffnungslosen Fall geraten und
demonstrierten sozusagen am toten Objekt ihre forensische Kunst. Mein Fall war durch die Zeitungen gegangen. Kommentarlos. Am ersten Gerichtstag schon hatten mich die Fotoreporter >geschossen<. Es erschien mein Bild und darunter stand: >Ein feindlicher Agent.<
Einzelheiten wußten die Zeitungen nicht. Ich kann nicht sagen, daß das Foto, das sie von mir brachten, besonders vorteilhaft gewesen wäre. Aber ich legte zu dieser Zeit auch keinen Wert darauf. Und trotzdem sol te das Bild eine Wirkung haben, der ich eines Tages — ich glaube, es war der fünfte Tag seit Beginn der Gerichtsverhandlung — fassungslos gegenüberstand.
Der Vorsitzende eröffnete die Sitzung wie immer mit kühler Noblesse.
Es wurde, glaube ich, gerade der dreißigste Zeuge vernommen. Jeder, der irgendwie mit mir in Berührung gekommen war, der erste Taxichauffeur, der Würstchenverkäufer, der Mann am Zeitungsstand, die Hotelportiers, selbst die Putzfrauen, wurde verhört.
Der Vorsitzende hielt einen kleinen Zettel in der Hand.
»Es hat sich bei Gericht«, sagte er, »eine weitere Zeugin gemeldet. Sie wartet draußen. Wir können sie vernehmen.«
»Ich lege keinen Wert darauf«, entgegnete Carry sofort.
»Die Verteidigung ist grundsätzlich der Meinung, daß keine Möglichkeit der Wahrheitsfindung ausgelassen werden sol te«, erwiderte Reagin.
»Dann wird sie das Gericht hören«, sagte der Colonel. Er gab dem bulligen Sergeanten an der Tür einen Wink. Der Mann ging fort. Für eine knappe Minute kam im Saal eine halblaute Unterhaltung auf.
Die Tür öffnete sich langsam. Ich sah zunächst gar nicht hin. Erst als sich al e umdrehten, besah ich mir die Zeugin.
Ich erschrak auf den Tod! Ich wollte aufspringen, ihr entgegenlaufen, sie zurückreißen! Ich wollte schreien, bitten, drohen. Aber ich blieb wie angeklebt auf meinem Stuhl sitzen.
»Sie heißen?« fragte der Vorsitzende.
Die Zeugin ging mit sicherem Schritt auf ihn zu. Sie war groß, schlank und hübsch. Sie sah geradeaus. Nur als sie an mir vorbeiging, hatte sie mich mit einem kurzen Blick gestreift. Er war traurig, todtraurig. Die Zeugin hatte lange, blonde Haare. Sie hatte eine ganz bestimmte Art zu gehen, zu sprechen, zu lächeln. Eine Art, wie Joan sie hatte.
Sie war Joan.
»Ich heiße Joan Kenneth«, sagte sie. »Ich bin amerikanische Bürgerin, lebe in New York und führe selbständig einen kleinen Laden mit Modeartikeln.« Sie diktierte ihre Personalien in das Protokoll.
»Sie kennen den Angeklagten?« fragte Carry.
»Ja«, entgegnete sie.
»Wo haben Sie ihn kennengelernt?«
»In der Wohnung eines Freundes.«
»Wann?«
»Vor sechs Wochen.«
»So«, erwiderte Major Carry, »haben Sie gewußt, daß dieser Angeklagte ein deutscher Spion ist?«
»Nein«, antwortete Joan leise.
Carry wandte sich an den Präsidenten.
»Ich wüßte nicht, wie die Zeugin dem Prozeß dienlich sein sollte.«
Der Vorsitzende schwankte einen Augenblick.
»Aber ich«, platzte Reagin in die Stille, bevor ich ihn noch am Sprechen hindern konnte. »Ich habe ein paar Fragen an Sie, Miß Kenneth — wenn es die Hohe Kommission erlaubt.«
»Stattgegeben«, erwiderte Colonel Harrold.
Joan drehte sich nach mir um. Sie sah mich an. Ihr Gesicht war blaß. Sie versuchte mich anzulächeln, aber das Lächeln verunglückte. Sie machte eine hilflose Geste mit der Hand, als ob sie auf mich zukommen, als ob sie mich streicheln wollte. Sie ignorierte die Männer, die sie anstarrten, die Befremdung in den Gesichtern der Gerichtskommission, die lauernde Gehässigkeit des Anklägers.
»Warum haben Sie sich als Zeugin gemeldet?« fragte Major Reagin behutsam.
»Ich stehe dem Angeklagten nahe.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Ich liebe ihn«, entgegnete Joan schlicht.
Ein paar Sekunden war es stil im Saal.
»Sie werden sich vielleicht wundern«, fuhr Joan fort, »daß ich Ihnen das sage, obwohl der Angeklagte ein Feind unseres Landes ist. Ich weiß nicht, ob sein Auftrag, den er ausgeführt hatte, schlimm war . . . Schuld an
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