Spione, die die Welt bewegten
während der englische Klerus eine Unabhängigkeit
von Rom anstrebte. Ausländische Mönche und Nonnen wurden wegen Verdacht auf Spionage nicht selten aufgefordert, das Land zu
verlassen oder ihre Bewegungsfreiheit wurde stark eingeschränkt. Gegen ausländische Priester gab es während des Krieges in
England einmal gerichtliche Ermittlungen, weil sie angeblich Goldmünzen aus dem Land geschafft hatten, um die Goldreserven
des Staates zu schmälern. Wurden in englischen Häfen Truppen und Waffen verschifft, durften meist ausländische Besucher, aber
auch fremde Matrosen, Kleriker und Kaufleute, diese Häfen nicht betreten. Im Jahr 1380 wurde Geoffrey Broun, der sich als
Engländer bezeichnete, im Hafen Harfleur in der damals englischen Normandie festgenommen. Ihm wurde vorgeworfen, er stehe
mit französischen Spionen in Verbindung. Tatsächlich konnte nachgewiesen werden, dass Broun wegen seiner guten Sprachkenntnisse
von französischen |96| Spionen zuvor an der englischen Küste abgesetzt worden war, um Verteidigungsanlagen zu dokumentieren.
Nicht selten ging es im Hundertjährigen Krieg bei Spionageaktionen wie zu allen anderen Zeiten auch allein um Geld. Jean de
Saint-Amand war zwar Priester, aber gemessen an seinem Vorstrafenregister einfach nur ein Betrüger. Er benötigte immer Geld.
An einem Oktoberabend des Jahres 1367 kam er in einem Gasthaus in der Bretagne mit einem englischen Tischgenossen ins Gespräch.
Beide unterhielten sich lange, und der Engländer gewann vermutlich den Eindruck, dass Saint-Amand möglicherweise ein guter
Spion wäre. Mitten in der Nacht verließen sie das Lokal und der Engländer brachte Saint-Amand zu einer Mühle bei Saint-Malo.
Sie trafen dort einen weiteren Engländer, der beide zum englischen Kommandanten von Saint-Malo führte. Nach einem langen Gespräch
fragte der englische Kommandant Saint-Amand, ob er gegen gute Bezahlung als Spion arbeiten wolle. Aufgrund seiner guten Orts-
und Sprachkenntnisse sollte er als Priester durch die Lande ziehen und predigen, gleichzeitig sollte er nebenbei Erkundigungen
einziehen, wie groß die militärische Stärke des Herzogs von Brabant sei und ob der Herzog nun auf französischer oder englischer
Seite stünde. Die Informationen sollten dann an ständig wechselnde Kontaktpersonen weitergegeben werden. Saint-Amand willigte
nach einer Bedenkzeit und weiteren Gesprächen ein. Zuletzt erhielt er sogar die doppelte der ursprünglich zugesagten Geldsumme.
Er reiste anschließend nach Calais, wo er allerdings verhaftet wurde. Möglicherweise war der geheimnisvolle Engländer im Gasthaus
ein Anwerber für Spione gewesen, denn aufgrund der Sprachkenntnisse versuchten die Engländer hauptsächlich unter den Einheimischen
Spione zu finden. Nach Dokumenten aus dem Jahr 1370 erhielten englische Spione, die in Calais eingesetzt waren, in diesem
Jahr eine Entlohnung von mehr als 70 Pfund. Die Summe ist außergewöhnlich hoch, denn alle Boten des englischen Königs verdienten
im gleichen Jahr zusammengenommen rund 183 Pfund. Englische Gouverneure verfügten über einen geheimen Etat, aus dem sie nach
eigenem Ermessen Spione bezahlen konnten.
Mysteriös war während des Hundertjährigen Krieges die Aufgabe des französischen Priesters und Arztes Jean Fusoris, der möglicherweise
sogar als Doppelagent arbeitete. Im August 1415 verhafteten die Franzosen einen Priester, der zwei Briefe für Fusoris bei
sich trug. Der eine Absender war Richard Courtenay, Bischof von Norwich und ein Vertrauter des englischen Königs, der zweite
Absender ein Bediensteter des Bischofs. Brisant war der Inhalt der Briefe, es ging um eine Anfrage zum möglichen zukünftigen
Widerstand der Franzosen gegen die Engländer. Fusoris wurde daraufhin verhaftet, doch es kam nie zu einer Anklage; er wurde
weder verurteilt noch freigesprochen. Weltliche und kirchliche Gerichte stritten sich so lange um die Zuständigkeit, bis der
Fall im Sande verlaufen war. Ermittlungen zufolge hatte Fusoris bereits im Jahr vorher, Anfang 1414, den englischen Bischof
in Paris getroffen und etwa ein halbes Jahr |97| später reiste er mit einer französischen Gesandtschaft nach England, wo er angeblich sogar ein geheimes Gespräch mit dem englischen
König führte. Die Affäre Fusoris gleicht an manchen Stellen modernen Versionen aus der Welt der Geheimdienste. Vermutlich
hatten höchste Stellen nie das Interesse gehabt, den Fall aufzuklären.
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