Spione kuesst man nicht
weiß nichts.«
»Solomon hat deine Mutter also nicht um zwei Hubschrauber, drei Elektroschocker und ein Dutzend brasilianische Pässe gebeten?«
Bevor ich Tinas alberne Frage beantworten konnte, öffnete sich der Haupteingang, und die Siebtklässler strömten herein, bon-jourten herum – »Hallo« gehörte zu den wenigen Wörtern, die sie auf Französisch kannten – und meine Mitschülerinnen vergaßen mich und wandten sich wieder dem zu, was sie seit einer Woche ununterbrochen taten, nämlich Macey McHenry begaffen.
Sie war die Allererste, die schwarzen Nagellack mit einer weißen Bluse mit rundem Kragen kombinierte (was nicht überprüft ist, nur geraten), und ihr mit Brillanten besetzter Nasenring sah aus wie ein Zwanzigtausend-Dollar-Pickel, aber einem Außenstehenden musste Macey wie eine von uns erscheinen. Sie schritt durch den großen Saal, als ob ihr das Ganze gehörte (wie üblich), nahm sich einen einfachen grünen Salat ohne Soße (wie üblich) und ging an unseren Tisch. Dann ließ sie sich neben Bex auf einen Stuhl plumpsen und sagte: »Die Knirpse stören«, was ganz und gar unüblich war.
Bis dahin hatte ich Macey vor allem Sachen sagen hören wie: »Du bist mir im Licht« und »Falls Sie sich operieren lassen wollen, probieren Sie doch mal den Typ in Palm Springs, zu dem meine Mutter immer geht.« (Mr Smith notierte sich die Nummer natürlich nicht.) Aber jetzt saß sie tatsächlich bei uns, redete mit uns und benahm sich, als wäre sie eine von uns!
Liz sagte: »Je me demande pourquoi elle a décidé de parler à nous aujourd’hui. Comme c’est bizarre!« Aber ich verstand auch nicht, warum Macey auf einmal so redselig geworden war.
Bevor ich antworten konnte, drehte sich Macey zu Liz und meinte bissig: »Ich hab auch keine Lust, mich mit dir zu unterhalten, du Freak!«
Ich fing gerade an, die Tatsache zu verarbeiten, dass sogar Kosmetik-Erbinnen, die von vielen Privatschulen geflogen sind, anständig Französisch sprechen können, als Macey näher an Liz heranrückte.
»Erklär mir mal«, sagte Macey mit dem schlimmsten Südstaatenakzent, den ich je gehört hatte, »wie kann jemand, der angeblich so schlau ist, so dummes Zeug reden?«
Liz’ blasses Gesicht wurde sofort rot, und Tränen sammelten sich in ihren Augen. Bevor ich wusste, was geschah, war Bex aufgesprungen, hatte Maceys rechten Arm mit einer Hand auf den Rücken gepinnt und den brillantenbestückten Nasenring mit der anderen gepackt. Ich sprach ein schnelles Dankgebet, dass die Briten auf unserer Seite sind (vorausgesetzt natürlich, dass wir den Unabhängigkeitskrieg nicht wiederaufnehmen).
»Ich weiß, du bist drei Jahre zu spät gekommen, aber lass mich dir schnell eine wichtige Lehre erteilen«, sagte Bex auf Englisch (wahrscheinlich, weil es schwieriger ist, auf Französischfurchterregend zu klingen). Aber es passierte etwas sehr Seltsames. Macey lächelte – sie lachte fast – und Bex wusste nicht mehr, was sie tun sollte.
Im Saal wurde es langsam still, als ob irgendwo die Lautstärke heruntergedreht würde. Als die Lehrer schwiegen, hatte Bex Macey immer noch fest im Griff. Ich hatte mich über den Tisch gebeugt, um Bex zu packen, und Liz hatte die Karte, auf der die fünf besten Plätze verzeichnet waren, an denen man auf dem Schwarzmarkt in Sankt Petersburg Sprengstoff bekam, im Würgegriff.
»Rebecca«, sagte eine männliche Stimme. Ich drehte mich von dem schmallippigen Grinsen, das sich auf Maceys Gesicht ausbreitete, weg und sah, dass Mr Solomon hinter mir stand und über den Tisch hinweg Bex anredete, die zuließ, dass Maceys Blut langsam in ihren Arm zurückfloss. »Soweit ich informiert bin, können Sie dafür Schwierigkeiten bekommen.«
Stimmt. Gallagher Girls prügeln sich nicht auf den Fluren. Wir schlagen und schubsen uns nicht. Aber vor allem setzen wir die Fertigkeiten der Schwesternschaft nicht gegen unsere Schwestern ein. Niemals. Dass sich nicht augenblicklich Leute aus zehn verschiedenen Richtungen auf Bex gestürzt hatten, bewies, wie sehr Macey von allen verachtet und als Außenseiterin betrachtet wurde. Aber Mr Solomon war auch ein Außenseiter. Deshalb sagte er wahrscheinlich: »Wenn Sie es so nötig haben, anzugeben, können Sie und Ihre Freundinnen heute Abend die Angriffsspitze bilden.« Er sah Liz und mich an. »Viel Glück!«
Es war aber kein fröhliches »Viel Glück!«, kein »Hals und Beinbruch!«. Eher ein »Passt bloß auf, dass euch keiner die Knochen bricht!«
Liz
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