Spione kuesst man nicht
war das Mädchen geworden, das niemand sieht. Aber jetzt verschwand ich tiefer und tiefer im Schatten, bis ich in der Mitte meines Zimmers stand und zusah, wie meine engsten Freundinnen sich um unseren umwerfend schönen Gast versammelten und ich völlig unsichtbar wurde.
»Lass die Ohrringe weg!«, sagte Macey und zeigte auf Eva. »Steck das Hemd in die Hose!«, befahl sie Anna und wandte sich dann an Courtney Bauer. »Was ist denn in deinenHaaren gestorben?« (Courtney übertreibt es manchmal mit dem Haargel.)
Bex saß neben Liz auf dem Bett, und beide sahen genauso verdutzt aus, wie ich mich fühlte.
»Hey!«, rief ich wieder vergeblich, also erinnerte ich mich an die Tatsache, dass ich die Tochter einer Top-Spionin bin, und Sekunden später pfiff ich so laut, dass die Kühe nach Hause gelaufen wären (buchstäblich, denn dafür hatte Grandpa Morgan es mir ja ursprünglich beigebracht).
Meine Mitschülerinnen wandten sich von Macey ab, und ich sagte: »Es ist Zeit.«
Endlich wurde es still im Raum und ein längeres, tieferes Schweigen hüllte uns alle ein.
Wir waren mit dem Verkleiden-Spielen fertig, und alle wussten es.
»Hallo, meine Damen!«
Die Worte waren richtig, aber die Stimme, die aus dem Dunkel zu uns drang, war in vielerlei Hinsicht falsch. Wenn ich beschreiben wollte, wie es war, Joe Solomon zu erwarten und Mr Mosckowitz zu bekommen, wäre das wirklich grausam, denn für all das Papier müssten unzählige Bäume ihr Leben lassen.
»Ihr seht ja alle so …« Er starrte uns mit offenem Mund an, als ob er noch nie im Leben Push-up-BHs oder Eyeliner gesehen hätte. »… nett aus«, sagte er schließlich und klatschte dann in die Hände. Wahrscheinlich, damit sie nicht länger vor Nervosität zitterten. Aber er konnte seine Stimme immer noch nicht beruhigen, als er sagte: »Eine tolle Nacht. Eine großartige Nacht. Für …« Er zögerte. »… uns alle.«
Mr Mosckowitz schob seine Brille auf der Nase hoch undblickte über die beleuchtete Auffahrt. Selbst ich wusste nicht, was uns im finsteren Abgrund erwartete. Ja, sicher, da waren Wälder und Wege und ein Lacrosse-Feld, das für die Code Reds praktisch ist (und sich hervorragend als unterirdische Stellfläche für Hubschrauber eignet), aber jeder weiß, dass die Gallagher-Wälder ein Minenfeld sind – vielleicht im wahrsten Sinne des Wortes –, und ich begann, vor Angst zu zittern.
Was, wenn es Heckenschützen gab? Oder Kampfhunde … oder … aber bevor ich diesen Gedanken zu Ende denken konnte, hörte ich knirschenden Kies und quietschende Reifen, und als ich mich umdrehte, sah ich, dass uns ein Übernacht-Express entgegendonnerte. Was kann das für ein dringendes Paket sein?, fragte ich mich. Aber als die Fahrertür aufflog und Mr Solomon heraussprang und »Einsteigen!« brüllte, wurde mir klar, dass wir das Paket waren.
Sofort musste ich an eine von Liz’ Karteikarten denken: GEHEIMOPERATIONSREGEL NR. 1: NICHT ZÖGERN. Mr Mosckowitz öffnete die Türen zur Ladefläche und ich kletterte hinein und stellte mir vor, dass der Wagen wie unsere Lehrer war: Er hatte ein faszinierendes und gefährliches Leben geführt, bevor er in den Ruhestand ging und zu uns kam. Aber ich sah keine Bildschirme und Kopfhörer, nichts von den Sachen, mit denen solche Autos im Kino immer ausgerüstet sind, sondern nur Kisten voller Pakete. Da wurde der Wagen für mich noch cooler, weil Mr Solomon ihn höchstwahrscheinlich gestohlen hatte!
»Regel Nummer eins«, warnte er, als wir uns setzten. »Keines der Pakete berühren!«
Dann kroch Mr Solomon hinter uns in den Transporter und ließ Mr Mosckowitz draußen stehen, der wie ein kleiner Jungezu ihm hochblickte, dem man eben den Helm des Football-Stars in die Hand gedrückt hatte.
»Harvey«, sagte Mr Solomon ungeduldig, aber immer noch freundlich genug, um als netter Kerl zu gelten. »Die Uhr läuft!« Er warf Mr Mosckowitz die Schlüssel zu.
»Oh!« Das schien ihn zu wecken. »Okay. Klar. Ich seh euch alle«, er deutete auf uns, »da draußen.«
»Nein, Harvey«, sagte Mr Solomon. »Darum geht es doch gerade.«
So hatte ich mir das erste Mal im Dunkeln mit einem Typ, der wie Joe Solomon aussah, echt nicht vorgestellt. (Und ich bin ziemlich sicher, dass ich für unsere ganze Klasse sprechen kann.)
»Geheimagenten werden mit falschen Identitäten ausgestattet«, kam es zackig aus der Dunkelheit. »Diese Identitäten, einschließlich Namen, Geburtsdaten und Lieblingstanten im Kindergarten, nennt
Weitere Kostenlose Bücher