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Spione kuesst man nicht

Spione kuesst man nicht

Titel: Spione kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Carter
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Flasche, die Mr Smith entsorgt hatte, vorsichtig herauszuziehen. Ich tat es dennoch.
    »Auftrag erfüllt«, wisperte ich und drehte mich um. Ich wusste, dass es Zeit war, in die Welt zurückzukehren, in der ich zwar unsichtbar, aber niemals unbekannt sein konnte.
    Und dann sah ich ihn – einen Jungen auf der anderen Straßenseite –, der mich sah.

E rschrocken ließ ich die Flasche fallen, aber sie zerbrach nicht. Als sie dem Bordstein entgegenrollte, stürzte ich mich auf sie, um sie aufzuheben, aber eine andere Hand kam mir zuvor – eine Hand, die ziemlich groß und eindeutig männlich war. Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, mich hätte kein kleiner Finger aus Versehen berührt, was ein wohliges Kribbeln auslöste, ähnlich dem, das wir spüren, wenn wir Dr. Fibs’ vorübergehende Fingerabdrucks-Veränderungs-Creme benutzen (nur viel besser).
    Ich stand auf, und der Junge hielt mir die Flasche hin. Ich nahm sie entgegen.
    »Hi.« Er hatte eine Hand in der Tasche seiner ausgebeulten Jeans und rammte sie noch tiefer hinein, als ob er Angst hätte, dass sie auf seine viel zu weißen neuen Nikes rutschen könnte. »Kommst du oft hierher?«, fragte er auf eine selbstironische Art. Ich musste unwillkürlich lächeln. »Das brauchst du gar nicht zu beantworten. Ich kenne nämlich alle Abfalltonnen in der Stadt. Die hier ist zwar eine sehr nette Abfalltonne, aber siesieht nicht aus wie eine, in der ein Mädchen wie du normalerweise wühlt.« Ich machte den Mund auf, um zu protestieren, aber er redete weiter. »Also die Abfalltonnen in der Siebten Straße – das sind wirklich richtig gute, das kannst Du mir glauben.«
    Mr Solomons erste Stunde fiel mir wieder ein, also registrierte ich alle Einzelheiten: Der Typ war ungefähr einsachtundsiebzig groß, hatte lockige braune Haare und Augen, die selbst die von Mr Solomon in den Schatten stellen würden. Aber am meisten fiel mir auf, mit welcher Leichtigkeit er lächelte. Ich würde es gar nicht erwähnen, aber sein Lächeln schien das ganze Gesicht zu prägen – Augen, Lippen, Wangen. Es war kein breites Grinsen, sondern es war leicht und geschmeidig wie flüssige Butter. Andererseits war ich nicht unvoreingenommen – schließlich lächelte er mich an.
    »Das kann keine gewöhnliche Flasche sein«, sagte er (lächelnd natürlich).
    Mir war klar, wie blöd das ausgesehen haben musste. In der Wärme seines Lächelns vergaß ich meine Legende, meine Mission – alles – und platzte mit dem Ersten, was mir einfiel, heraus: »Ich hab eine Katze!«
    Er zog die Augenbrauen in die Höhe, und ich stellte mir vor, dass er gleich ein Handy herausholen würde, um die nächste psychiatrische Klinik darüber zu informieren, dass ich in Roseville frei herumlief.
    »Sie spielt gern mit Flaschen«, plapperte ich weiter im 140-km-Tempo. »Aber die letzte ist zerbrochen, und sie hat Glassplitter in die Pfote bekommen. Suzie! So heißt meine Katze – die mit dem Glas in der Pfote – nicht, dass ich noch andere hätte – Katzen, meine ich, nicht Flaschen. Deshalb habich die Flasche gebraucht. Ich bin nicht mal sicher, ob sie noch eine haben will. Wegen dem –«
    »Trauma, sich in die Pfote geschnitten zu haben«, beendete er den Satz für mich.
    Ich atmete aus, dankbar für die Chance, Luft holen zu können. »Genau.«
    So verhält sich also eine hochqualifizierte Agentin, wenn sie bei einem Einsatz abgefangen wird. Irgendwie glaube ich, dass es etwas damit zu tun hatte, dass der Abfänger wie eine Kreuzung zwischen einem jungen George Clooney und Orlando Bloom aussah. (Wenn er wie eine Kreuzung zwischen Mr Clooney und zum Beispiel einem der Hobbits ausgesehen hätte, wäre ich vielleicht eher zu einem zusammenhängenden Gedanken fähig gewesen.)
    Aus dem Augenwinkel sah ich, dass der Übernacht-Express in eine Gasse fuhr. Ich ahnte, dass er dort im Leerlauf auf mich wartete, weshalb ich mich umdrehte und gehen wollte, aber der Junge fragte: »Bist du erst vor Kurzem hier nach Roseville gezogen?«
    Also wandte ich mich ihm wieder zu. Mr Solomon würde sich schon nicht auf die Hupe lehnen, um mir zu sagen, dass ich mich gefälligst beeilen soll, aber selbst durch meine kaputten Ohrstöpsel konnte ich Frustration spüren und eine tickende Uhr hören.
    »Ich … ähm, wie kommst du darauf?«
    Er hob die Schultern und rammte die Hände noch tiefer in die Taschen. »Ich hab mein ganzes Leben in Roseville verbracht. Alle, die ich kenne, haben ihr Leben in Roseville

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