Spione kuesst man nicht
immer noch super im Tischdecken, weshalb ich richtig traurig war, als sie sagte:»Du meine Güte, schauen Sie mal auf die Uhr!« Ich wollte das gute Porzellan nicht wegräumen. Ich wollte nicht die Treppe hinuntergehen und Mr Solomon ins Gesicht sehen müssen.
»Aber bevor Sie heute gehen«, sagte Madame Dabney in einem aufgeregten, erwartungsvollen Ton, der mich aufhorchen ließ, »muss ich etwas verkünden!« Das Klappern der Tassen verstummte, als alle sich ihr zuwandten. »Es wird Zeit, dass Sie Ihre Ausbildung hier an der Gallagher Akademie erweitern, also –« Sie rückte ihre Brille zurecht. »Also werde ich Ihnen heute nach dem Unterricht Fahrstunden erteilen.«
Oh! Ich hatte völlig vergessen, dass es so etwas gab. Klar, wir dürfen uns gegenseitig über die Schultern werfen oder Gegengifte zusammenbrauen, um Bonuspunkte zu verdienen, aber wenn es um so knifflige Dinge geht wie den Rückspiegel einstellen oder das geheimnisvolle Wissen, wer an einer Kreuzung Vorfahrt hat, nimmt die Schulleitung der Akademie kein Risiko in Kauf. Außerdem waren die Rabatte bei der Autoversicherung zu berücksichtigen.
Madame Dabney sagte: »Wir werden in Vierer-Gruppen rausgehen, eine Gruppe nach der anderen.« Sie schaute auf einen Zettel und sah dann Liz, Bex und mich an. »Beginnen wir mit Ihnen.«
Liz guckte Bex und mich verständnislos an. »Vier?«, flüsterte sie, als es uns dämmerte und aus den hinteren Reihen Macey zu vernehmen war. »Hört sich nach Spaß an.« (Muss ich extra betonen, dass sie sarkastisch war?)
Am Nachmittag gingen wir die Stufen der Kolonnade auf der Rückseite des Gebäudes hinunter zum Fahrzeugpark, wo uns ein alter Ford Taurus erwartete. Das gelbe FAHRSCHÜLER-Dreieck funkelte in der Sonne.
Mom hat mir erzählt, dass Madame Dabney den größten Teil ihrer Karriere im Untergrund verbracht und sich als Undercover-Agentin mit den Nazizellen beschäftigt hatte, die nach dem Zweiten Weltkrieg immer noch in Frankreich aktiv waren, aber an Tagen wie diesem fällt es mir wirklich schwer, das zu glauben – vor allem, wenn die besagte Dame in einem T - Shirt mit der Aufschrift Sicherheit im Straßenverkehr! aufkreuzt.
»Ooooh, das wird Ihnen gefallen!« Sie zeigte auf das Bremspedal und sagte: »Das bringt das Auto zum Stehen.« Dann zeigte sie auf das Gaspedal und sagte: »Das bringt das Auto zum Fahren.« Aber das Verrückteste war, dass Liz sich laufend Notizen machte.
Liz hat ein fotografisches Gedächtnis. Im Alter von acht Jahren wurde sie als Hochbegabte im Verein Mensa aufgenommen! Und trotzdem fühlte sie sich verpflichtet, eine Zeichnung der Lenksäule anzufertigen und genau zu notieren, welcher Hebel die Scheibenwischer in Bewegung setzte.
»Vergiss nicht, aufzuschreiben, dass der Lenker rund ist«, sagte ich und sie hatte schon angefangen, in ihr kleines Notizbuch L-E-N zu schreiben, als sie merkte, dass ich sie auf den Arm nahm.
»Cammie, mach keine Witze!«, sagte Liz wie so oft. Aber dann höhnte Macey: »Ja, Cammie, mach keine Witze!« Selbst Liz wollte ihr eine scheuern.
»Mädchen«, sagte Madame Dabney, »konzentriert euch!« Sie faltete die Hände wie zum Gebet und wandte sich an Bex. »Rebecca, meine Liebe, warum fangen Sie nicht an?«
Ich schnappte nach Luft. Versteht mich nicht falsch. Ich mag sie sehr. Bex ist meine beste Freundin. Aber ich bin gefahren, seit ich über das Lenkrad schauen und gleichzeitig aufdie Pedale treten konnte (etwas, das Grandpa Morgan als Meilenstein im Leben jedes Bauernkindes bezeichnet) – weshalb sollte also eine Londonerin, die ihre prägenden Jahre damit verbracht hatte, mit der U-Bahn zu fahren und Taxis zu winken, die Erste sein, die den Highway 10 in Angriff nahm?
Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass Bex ja wirklich meine beste Freundin und in allem gut ist. Jedenfalls dachte ich das, bis sie AUF DER FALSCHEN STRASSENSEITE auf den Highway fuhr! Das hätte ganz lustig sein können, wenn da nicht ein Hügel gewesen wäre – hatte ich das erwähnt? Ein ziemlich großer Kann-den-Sattelschlepper-nicht-sehen-bis-er-fast-frontal-in-mich-reinfährt-Hügel. Doch ich war die Einzige, der es auffiel, weil Madame Dabney sich Dinge auf einem Klemmbrett notierte, Liz ihre Hausaufgaben für Biochemie machte und Macey sich unbedingt um ihre Fingernägel kümmern musste.
Ich wollte brüllen, aber ich hatte wohl meine Stimme vorübergehend verloren, und Bex war die einzige andere Person, die auf die Straße schaute und anscheinend
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