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Spione kuesst man nicht

Spione kuesst man nicht

Titel: Spione kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Carter
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tastete nach dem Stein, den ich in der siebten Klasse einmal entdeckt hatte, als ich Mrs Buckinghams Katze Onyx suchte.
    Der Stein lag kalt in meiner Hand. Ich drückte darauf und spürte den Luftstrom, als die Wand zur Seite glitt. Ein schmaler Lichtstreifen schimmerte unter der Tür hinter mir und verschwand in der tiefen Finsternis, die sich vor mir auftat.
    Eine Stunde später stand ich auf der Bellis Street und zitterte in der Dunkelheit.
    Was wollte ich eigentlich damit bezwecken, dass ich mich durch einen geheimen Tunnel schlich, über eine Mauer kletterte und Joshs Haus im wahrsten Sinne des Wortes ausspionierte? Ich hatte keine Ahnung. Stattdessen stand ich da wie ein Idiot (und selbst ein Idiot, der sich beim Rumstehen nicht entdecken lässt, kann sich dabei immer noch ziemlich blöd vorkommen).
    Der Moment scheint gekommen, um darauf hinzuweisen, dass ich nicht auf der Lauer lag, auch wenn es den Anschein hat. Auf der Lauer liegen nur fiese Typen mit wüster Gesichtsbehaarung und Flecken auf den Hemden. Genies mit dreijährigem Training für Top-Geheimagenten lauern nicht. Sie überwachen. (Okay, ich hab gelauert, aber nur ein bisschen.)
    Weiße Spitzenvorhänge wurden am Fenster einer Küche zurückgeschoben, in der Joshs Mutter den Abwasch erledigte. Als Josh durch die Küche ging, blies ihm seine Mutter Seifenschaum ins Gesicht, und er lachte. Ich dachte an Bex, die im gleichen Augenblick wahrscheinlich auch lachte. Ich dachte an meine Mutter, deren Tränen nur heimlich flossen. Ich dachtean mein Leben – das Leben, das ich hatte, und das Leben, das ich wollte. Also stand ich nur schlotternd in der Kälte, sah zu, wie Josh lachte, und fing an zu weinen.
    Aber das steht einem Mädchen doch zu, oder nicht? Manchmal einfach grundlos zu weinen? Es ist ein Grundrecht und müsste in der Verfassung verankert sein. Vielleicht brech ich irgendwann mal im Nationalarchiv ein und schreibe das rein. Bex würde mir sicher helfen. Ich glaube, die Gründerväter hätten auch nichts dagegen gehabt.

W egen unserer Abschlussprüfungen und des dazugehörigen Stresses sah ich Liz erst beim folgenden Abendessen wieder, als sie sich mit einem Stück Pizza neben mich setzte. »Wo warst du eigentlich vergangene Nacht?«, fragte sie. Aber bevor ich antworten konnte, meinte sie: »Wolltest du Josh wiedersehen?«
    Ich nickte.
    »Du hast aber nicht mit ihm Schluss gemacht, oder?« Es klang richtig besorgt.
    »Nein!«, sagte ich entsetzt.
    »Gut.« Sie hatte anscheinend gespürt, wie verwirrt ich war, weil sie hinzufügte: »Er ist gut zu dir, und das hast du verdient.« Sie schaute sich in der großen Halle mit den hundert anderen Mädchen um, die genauso waren wie wir. »Das haben wir alle verdient.«
    Ja , dachte ich, das finde ich auch.
    Ich warf Bex einen verstohlenen Blick zu, die neben mir saß und lachte. Wir alle haben Spaß und Liebe und Freundinnenwie meine verdient, aber während ich Bex beobachtete, fragte ich mich, ob sie das Leben immer noch so lustig fände, wenn sie wüsste, was ich weiß. Ich fragte mich, ob ich vielleicht ihren Charakter hätte und sie meinen, wenn unsere Väter jeweils das Schicksal des anderen gehabt hätten. Würde ich dann in der großen Halle sitzen und zulassen, dass Anna vorführte, wie sie sich gegen zwanzig wütende Jungs aus der Stadt verteidigt hatte (die Anzahl der Leute hatte sich inzwischen erheblich erhöht)? Wäre Bex, die wunderschöne Bex, dann ein Chamäleon?
    »Miss Baxter!« Ich drehte mich um und sah, dass Professor Buckingham wie eine Naturgewalt auf uns zustürmte. Ich spürte, wie mein Herz im wahrsten Sinne des Wortes stehen blieb. (Es kann wirklich stehen bleiben – ich hab Liz gefragt.)
    Macey saß mir gegenüber, und wir sahen uns an. Eine unausgesprochene Bedrohung hing zwischen uns wie der Duft von Olivenöl und schmelzendem Käse, aber Bex blieb unbeeindruckt, und ich dachte an die Kraft eines Geheimnisses.
    Als Mrs Buckingham näher kam, versuchte ich, ihren Blick zu deuten, aber ihre Augen waren kalt und leer.
    »Miss Baxter, ich habe soeben einen Anruf bekommen …«, begann sie und wandte ihren Blick dann kaum merklich ab. Sie richtete ihn auf mich und sagte: »… von Ihrem Vater.« Meine Lunge füllte sich mit Luft. Das Blut zirkulierte wieder in meinen Adern. Und ich bin ziemlich sicher, dass Mrs Buckingham mir zuzwinkerte oder so was Ähnliches. »Er hat gesagt, ich soll Sie grüßen.«
    Meine Ellbogen sanken auf den Tisch, und mir gegenüber war Macey

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