Spionin in eignener Sache
sich keine Sorgen wegen Blair Whitson.
Warum denke ich denn, er sorgt sich seinetwegen, wenn er das doch vorher nie getan hat, fragte sich Kate. Weil ich mir Sorgen wegen Blair Whitson mache, gestand sie sich reuig ein. Und ich weiß nicht einmal, ob er verheiratet ist. Bitte, lieber Gott, laß ihn verheiratet sein. Oder noch besser: schwul. Da Harriet ihn mit solcher Begeisterung zitiert hatte, kam Kate der Gedanke, ihren le Carré wieder her-vorzukramen. Sie begann ganz vorn, mit Smileys ersten Abenteuern.
Über eine Stelle in einem seiner späteren Fälle stutzte sie amüsiert:
»Was natürlich nicht hieß, sie hätte irgend etwas gewußt – aber welche Frau hat sich je durch Unwissen aufhalten lassen?« Das sitzt, George, dachte sie, besonders im Augenblick.
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Zum erstenmal hatte sie Angst, sich lächerlich zu machen. Angst, in unwahrscheinliche Ausei-nandersetzungen mit steifen, argwöhnischen Leuten verwickelt zu werden. John le Carré,
›Ein Mord erster Klasse‹
»Und dies«, sagte Blair, »ist der Raum, in dem wir unser Seminar halten werden. Tut mir leid, daß er im Souterrain liegt, aber Seminarräume sind knapp in diesem Etablissement. Unser Kurs wird für den Laden hier mal eine nette Abwechslung sein: Wir sitzen alle um einen Tisch, Sie am einen Ende, ich am andern und dazwischen die eifrigen Studenten. Etwa zwanzig haben übrigens unser Seminar belegt.«
»Und wie kamen sie dazu?« fragte Kate nüchtern.
»Weil sie glauben, bei uns müßten sie weniger arbeiten als in den meisten anderen Wahlseminaren. Außerdem mögen sie mich, nicht wegen meiner blauen Augen, sondern weil ich mir manchmal ihre Namen merke, ohne in die Liste zu gucken. Und ich rufe keinen auf, der nicht die Hand hebt. Sie dagegen«, fügte er mit leicht ironischer Galanterie hinzu, »sind ein Objekt der Neugier, jedenfalls soweit unsere Studenten sich dieses zeitraubende Gefühl leisten können.
Einige davon gehören übrigens zu den wenigen wirklich guten Studenten, die meist voller Elan aus irgendwelchen Berufen an die Uni zurückkehrten und sich weiter tapfer halten.«
»Danke«, meinte Kate, »das klingt wirklich ermutigend.«
Es war Kates erster Tag an der Schuyler, in der es Sitte war, zu Beginn jedes Semesters eine Cocktailparty, im Grunde eher einen Empfang, für die Studenten zu geben. Blair hatte Kate und Reed gedrängt, teilzunehmen. »Angeblich soll es eine Party für die Studenten sein«, hatte er erklärt, »daher ist die Anwesenheit der Professoren Pflicht. Aber in Wirklichkeit geht es eher zu wie auf einer Zusammenkunft alter Kumpel, diesen Treffen, die bei Armeevetera-nen oder Exkorporierten so beliebt sind, wenn sie die Fünfzig überschritten haben. Es kommen auch tatsächlich viele Studenten, weil sie das Gefühl haben, ihre Abwesenheit könnte gegen sie verwandt werden, aber die höheren Semester drücken sich meist und schieben andere dringende Verpflichtungen vor.«
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Kate war früh gekommen, um sich den Seminarraum und Blairs Büro zeigen zu lassen, das sie mit ihm teilen würde. »Gastdozentin-nen, auch noch so angesehene, bekommen an dieser Institution kein eigenes Büro«, hatte Blair entschuldigend gesagt. »Ich hoffe, es stört Sie nicht.«
»Sie sind es, der sich daran stören sollte. Ich bin doch der Ein-dringling. Empfinden Sie das nicht als Überfall?«
»Einen Tag in der Woche ist jeder Überfall zu ertragen, und in diesem speziellen Fall kann ich ihn gar nicht abwarten. « Sie gingen vom Souterrain hoch zum oberen Stockwerk, in dem die Büros lagen. Blair öffnete schwungvoll eine Tür, hielt sie auf und winkte Kate hinein. Dann schloß er die Tür, setzte sich auf einen Stuhl und bat Kate mit einer Handbewegung, auf dem gegenüberstehenden Platz zu nehmen.
»Mein Büro«, verkündete er.
Kate setzte sich und sah sich mit unverhohlener Neugier um. Ihre Augen wanderten über die Bücher, zum Fenster und blieben dann auf dem Foto einer Frau auf seinem Schreibtisch haften.
»Ihre Frau?« fragte sie. Das schien ihr der direkteste und beste Weg, wohin, wußte sie allerdings nicht.
»Ja. Aber wir sind geschieden. Sie zog einen Anwalt mit einem etwas höheren Jahreseinkommen vor – na, einem beträchtlich höheren. Ihr Foto habe ich immer noch da stehen, damit es mich von irgendwelchen impulsiven Schritten in Richtung Wiederverheiratung abhält. Wir sind nach wie vor recht gut befreundet. Sie gibt sogar zu, daß ich interessanter bin als ihr gegenwärtiger Ehemann, und ich
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